postheadericon Punk und Holocaust: Die Endlösung der Endlösung

Als die Töchter und Söhne der Holocaust-Überlebenden auf die
Popmusik stießen, entstand Punk. Mit den Mitteln der Komödie, Überzeichnung
und  Rebellion versuchten Punkprinzessinnen wie Genya Ravan oder Helen Wheels die Schocks in ihrer Familiengeschichte zu verarbeiten.

 

Die „Bibliothek von unten“ ist im Aufgang einer Treppe unter
einer steinernen Brücke in der Wiener Wipplingerstraße gelegen. Dieser Ort
könnte sich auch im Venedig des letzten Jahrhunderts befinden. Den Eingang
findet man eigentlich nur, wenn man weiß, wo es ist. „Punk ist eine politische
Haltung, kein Lebensstil“, sagt Doris Akrap, die extra aus Berlin anreiste, um
das von ihr übersetzte Buch „Die Heebie-Jeebies im CBGB’s“ vorzustellen (und
gerade ein mehrstündiges Interview auf serbisch mit dem Architekten Bogdan
Bogdanovic inklusive einigen Schnäpsen hinter sich hat). In der New Yorker Bar
CBGB begannen alle großen Punk-Bands mit ihren Auftritten. Die „Heebie-Jeebies“
zu haben, bedeutet ein Gefühl der Unruhe oder Nervosität zu spüren, auf gut
hochdeutsch „einen Bammel“. Das Buch selbst schrieb Steven Lee Beeber, der um
die 150 Interviews mit MusikerInnen und BandgründerInnen machte und erstmalig
deren jüdischen Hintergrund und seinen Einfluß für die Punk-Bewegung in den USA
analysierte. „Der Autor mußte mir immer wieder jidische Worte im Englischen
erklären, die doch eigentlich aus dem Deutschen stammen“, erzählt Akrap über
die aufwendige Übersetzungsarbeit, die für die Jungle World Journalistin „mit
einem Musiker-Interview und einem Zufallsergebnis bei einer Internet-Recherche“
begann. In Wien spricht sie zwei Stunden lang äußerst konzentriert und
begeistert über die Zweite Generation der Holocaust-Überlebenden, die ihre Eltern
nicht vor der Verfolgung durch die Nazis und dem erlittenen Unheil schützen
konnten, sich aber mit den mörderischen Taten auf provokante Weise auseinander
setzten. Der Song „I am a Nazi Schatzi“ von den Ramones thematisiert z.B. ganz
offen die seltsame Fixierung auf jüdische Menschen, der die Nationalsozialisten
verfielen. Lied-Schreiber Tommy von den Ramones (eigentlich Tamas Erdelyi) war
in Ungarn der Verfolgung durch die Nazis entkommen, seine Familie wurde
großteils umgebracht.

Provokante Rache. „Punk ist nicht nur lautes
Schlagzeug, sondern begann damit, dass sich der Pop dem Holocaust gewidmet
hat“, sagt Doris Akrap und schüttelt ihren kurzen roten Haarschopf. „Die Punks
waren die ersten, die sich mit Popkultur und Holocaust beschäftigten. Ihre
Eltern kamen aus der Generation, die den Holocaust erlebt hatte. Sie wollten
deren Erfahrungen aufarbeiten, aber nicht so deutsch, preußisch, ernst –
sondern auf lustig. Sie wollten die Traumata nivellieren, herunter spielen,
salopp mit Unterhaltungswert unter die Leute bringen.“ Gleichzeitig ging es,
ähnlich wie in Jugoslawien in der Auseinandersetzung mit Müttern und Vätern,
die PartisanInnen waren, um eine gewisse Distanzierung von den
HeldInnen-Eltern, um eigene Identität zu gewinnen. „Jeder hat ein Problem mit
seinen Eltern“, sagt Akrap. „Aber die Eltern sind in diesem Fall die Generation
der Holocaust Überlebenden und das kann man nicht aussparen. Die Dictators z.B.
wollten in einer Mischung von komischem Getöse und jüdischem Humor mit den
Diktatoren brechen.“ Von außen hört man ganz laut die Stimmen derer, die gerade
die Stiege hinunter gehen. Neue Punks treffen ein und suchen sich einen
Sitzplatz. „Das Buch wurde von den jüdischen Gemeinden, die zum Teil
konservativ sind, ambivalent aufgenommen und äußerst kritisch rezensiert“,
erzählt Akrap. In der Bucheinleitung bezieht sich Peter Waldmann,
Literaturwissenschafter und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in Rheinland
Pfalz, auf Hannah Arendts Definitionen von „Jüdischsein“: „Für sie ist
Jüdischsein der Endpunkt einer unheilvollen Entwicklung im Judentum, die aus
ihm ein natürliches statt ein kulturelles, religiöses Phänomen macht. (…)
Jüdischsein wäre also dejudaisiertes Judentum, eine natürliche Fatalität, die
nur noch rassisch zu bestimmen ist.“ Wird das sozial-kulturelle Umfeld
vernichtet, bleibt nur rassistische Ethnisierung. Die Punks wehrten sich gegen
Identitätpolitik und Beeber schreibt von der „Endlösung der Endlösung“: „Die
Nazi-Symbolik im Punk ist (…) respektlos gegenüber den Nazis. Sie ist die
Verkörperung jüdischer Rache, die in der Tradition der Komödie steht.“

Mazel-Tov-Cocktails. Punk bedeutet für Frauen,
sich quasi legitim aufführen zu dürfen, beinhaltet viel Trotz, Kraft und
Widerstand und verleiht ihnen die Macht über Auftritte in der Öffentlichkeit
ihre Positionen zu bestimmen und zu verbreiten. Goldie Zelkowitz war die erste
Frau in der Geschichte des Rock, die mit einer elektrischen Gitarre auf die
Bühne ging. Sie erkämpfte sich die Macht vor und hinter der Bühne. Ihre Band
„Goldie and the Gingerbreads“ war die erste reine Frauenband, bei der wirklich
Frauen das Sagen hatten (die „Runaways“ und die „Monkees“ wurden von Männern
erschaffen) und die von einem großen Label übernommen wurden. Goldie Zelkowitz,
die sich Genya Ravan nannte, war „der härteste Typ unter harten Typen“,
schreibt Beeber, „man kann sie als die Mutter der Riot Grrrls betrachten“. Im
Mittelpunkt ihrer Musik standen Themen und Bedürfnisse von Frauen. Sie lebte
ihre Rebellion aus, war aber „viel zu sehr ein Anführer“, so Beebers
Einschätzung und „war selbst für den Rock fast viel zu viel“ – um beim
männlichen Publikum anzukommen, das Wildheit, Rebellentum und Ausgelassenheit
bei einer Frau nur bis zu einem gewissen Ausmaß tolerierte. Genyusha Zelkowitz
wurde in Lodz geboren, ihre Großeltern, Tanten, Onkel und zwei Brüder wurden in
Konzentrationslagern ermordet. Eine andere tolle Performerin, Helen Wheels
(eigentlich Helen Robbins, Kurzversion von Robinovitch) wurde in ihrer Jugend
vom Reformjudentum und vom Feminismus geprägt. Ihre Mutter war ein Fan der
jüdischen Abgeordneten und Feministin Bella Abzug, Mitglied des New Yorker
Repräsentantenhauses. Die „Hölle auf Rädern“ schmiß „Mazel-Tov-Cocktails auf
die Glashäuser der Punks“, schreibt Beeber. Ein speziell jüdisch orientiertes
Riot Grrrl Zine nannte sich später Mazel-Tov-Cocktail. Beide Frauen übten einen
großen Einfluß auf zukünftige Performerinnen wie Annie Sprinkle (Ellen
Steinberg), die mit Lydia Lunch arbeitete, Meredith Monk oder die
Bildkünstlerin Cindy Sherman aus.

Ambivalente Paare. Patti Smith, die Rebellin aus der
Arbeiterklasse New Jerseys, arbeitete als freie Journalistin, als sie Danny
Kaye kennenlernte. Mit dem jüdischen Jungen, der wie ein Mädchen aussah, trug
Smith ihre Texte auf der Bühne vor, während Kaye dazu Krach veranstaltete. 1971
gründeten die beiden eine Band, die die Wut der Arbeiterklasse mit dem zumeist
linken Politikverständnis jüdischer EinwandererInnen in die USA verband. „Patti
hielt sich weder für eine Frau noch für einen Mann. Um mit ihr zu spielen,
durfte auch ich mich weder für einen Mann noch für eine Frau halten“,
beschreibt Kaye die 32-jährige Zusammenarbeit des Paares. Lou Reed ging bei
„Velvet Underground“ mit der von ihm angebeteten „Schicksengöttin“ Nico keinen
androgynen Gender-Weg. Der jüdische Reed haßte die aus einer deutschen
Nazi-Familie stammende Sängerin seiner Band und fühlte sich gleichzeitig stark
von ihr angezogen. Ebenfalls Liebschaft und musikalisches Band verknüpfte Chris
Stein mit dem autonomen Adoptivkind Debbie Harrie. Die Nachfolgepartie von
Debbies Frauenband „The Stilettos“ benannte Chris äußerst sarkastisch mit
„Blondie“ – nach Hitlers Hund!

Ersterscheinung in der feministischen Zeitschrift „an.schläge“, nur print

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