postheadericon Rummel Hummel in Hernals: „Gehen wir drin“

Zwischennutzung: Die Lusterfabrik wurde zum Jahrmarkt. Repräsentative Beleuchtungskörper, Glasprojekte in allen Stilrichtungen und Kristalluster produzierten „E. Bakalowits und Söhne“ in der Lusterfabrik im Wiener Hernals. Nun bespielten zwei junge, fleißige Jahrmarkt-Macher die Fabrik in einem Zwischennutzungsprojekt. Der „Rummel Hummel“ genannte Komplex zog Tausende an. Augustin-Lokalaugenschein an einem der letzten Tage des Experiments, für dessen Reproduktion an anderen Plätzen die Stadt Wien leider nicht die besten Bedingungen schafft.

Fotograf: Heiko Kilian Kupries

Der Inhaber dürfte eine Vorliebe für Dreiecke gehabt haben, eine eigenartige Form für einen Lusterfabrikanten. Die alte Fabrik im Wiener Bezirk Hernals besteht aus zwei riesigen, ineinander verschränkten  Dreiecken und wird von der Wohnung des Inhabers gekrönt, die das oberste Stockwerk einnahm. Dreizehn Jahre lang stand das imposante, architektonisch spannende Gebäude leer, nun wurde es zur Zwischennutzung frei gegeben. Die Dachterasse ist unglaublich. Man sieht auf der einen Seite den Stefansdom, auf der anderen Seite die Berge und Hügel rund um Wien, die Grenze, an der die Stadt aufhört und das Grün beginnt. Vier Stockwerke weiter unten lädt ein Mann im Clownsfrack und mit Zylinder auf dem Kopf die Besucher_innen mit großen Gesten und lärmenden Worten ein, zum „Rummel Hummel“ näherzutreten und die Spenden in einer bereits ziemlich vollen Gießkanne zu deponieren. Ausstellungs-Zirkus! Vor improvisierten Imbissbuden futtern junge Leute biologisch wertvolle Speisen, andere haben sich ihre Alu-Bierdosen selber mitgebracht. „Wie fühlt es sich an, so eine ganze leere Fabrik für sich zu haben?“, frage ich den jungen Slowaken Jan, einen der  Organisatoren und Veranstalter von „Tanz durch den Tag“. „Es ist ein schönes und freies Gefühl, so viel Raum haben zu können und anderen Leuten zu ermöglichen, den Raum zu nutzen“, lächelt Jan freundlich. Er suchte Jahre lang nach einem ähnlich großartigen Platz, wie die alte Lusterfabrik in Hernals. Mitorganisator Fabian, der sich als Audiotechniker und „halb Waldviertler, halb Koreaner“ vorstellt, bespielte vorher die Rinderhalle, die denkmalgeschützt ist. Neben der Schnellbahn-Trasse in Hernals fand er seit Ende August mehr Spielraum vor.

Kein Barrikadenbau

Fotograf: Heiko Kilian KupriesDrinnen im ersten hohen Betondreieck lässt sich eine Frau in ein Stoffband gewickelt von der Decke herunter, steckt ein Bein in die Luft. Skurill und gefährlich. „Aerial Dance“ nennt sich die Performance. Weiter durch den nächsten Hof, in dem eine Band auf einer Holzbühne spielt (Blockflöte?!), drängen sich die Massen die Treppe hinauf, um in allen Stockwerken  Bilder und Graffitikunst zu bewundern. Anahita vom Verein „Flucht nach vorne“ ist enttäuscht. Die Bilder, die ihre Flüchtlings-Kids an die Wände malten, sind zwischenzeitlich überpinselt worden. Dabei hatte einer der besonders coolen Jugendlichen eine lachende Sonne gemalt! „Es wird alles immer wieder neu übermalt“, sagt Jan, „es gibt keine Garantie, keine Reservierung – wie halt auf der Straße auch.“ 4000 Leute brachten die beiden hier in ihre Lusterfabrik, die ihnen die Immobilienfirma „Citywert“ zur Verfügung stellte, denn deren Team von Entwicklern und Architekten „wünschten sich eine kulturelle Bespielung, damit das Haus bekannt wird“. Es ist deren erstes Projekt. Der Grundriss soll erhalten werden, aber hier werden nach der Sanierung Wohnungen entstehen. Mit einer Galerie im Erdgeschoß? Dreizehn Jahre stand die Fabrik leer, „nicht einmal ein Penner oder ein Graffitikünstler waren drinnen“, sagt Jan. Der Name „Rummel Hummel“ stehe für Jahrmarkt, „denn wir wollten den alten Jahrmarktcharakter wieder aufleben lassen, wo sich jeder mit jedem trifft“. Im Vergleich zu einem besetzten Haus sieht es hier anders aus, schon von den ganzen Blümchen und Bienen auf den Wänden her, aber auch dass viele Familien und kleine Kinder die Treppe erklimmen. Die Stiegen haben Geländer, im Gegensatz z. B. zu ROG, der alten Fahrradfabrik in Ljubljana, die von Punks besetzt wurde. Aufmerksam sperrt Jan immer wieder die Dachterasse ab, während z. B. zu Anfangszeiten des Ernst-Kirchweger-Hauses die Besetzer_innen auf den Dächern schliefen und von einem erzürnten Nachbarn mit der Spatzenschleuder und Metallkugeln beschossen wurden. In Hernals fehlt auch der Barrikadenbau, es gibt nur Traversen, Aluminiumgerüste und Lichtmontage. „Man musste das Haus nicht rebellisch einnehmen und nicht verteidigen und keine Angst haben, dass die Polizei kommt“, erklärt Jan die friedliche und freundliche, für Punks beinahe zu harmonische Stimmung. „Außerdem passten wir auf, dass das Ganze nicht in Umbauarbeiten ausartet“.

Unvergessen, wenn Punks mit Schweißbrennern anrücken und im Nullkommanichts aus dem Nichts heraus eine Bar und eine Bühne bauen. Fabian, der noch nie in einem besetzten Haus war, hatte viel Arbeit mit Verhandlungen und Verträgen, den bürokratischen Hürden, der „ständigen Kommunikation, was wir alles machen“. Sie unterschrieben beide einen Vertrag, in dem sie „praktisch für alles hafteten“. Insofern sind die beiden jungen Helden inzwischen gut ausgestiegen, denn sie stellten zwar null Honorar für ihre monatelange Arbeit auf, stiegen aber wenigstens ohne Schulden aus. „Im Gegensatz zu einem besetzten Haus hatten wir auch eine sichere Deadline“, sagt Fabian. „Wir wollen sukzessive gesellschaftskritischer werden.“

Schule für die Gesellschaft

Ideologien wie Anarchie oder Sozialismus beschäftigen die beiden Mitte Zwanzigjährigen nicht. „Ich persönlich habe schon einen Traum von einer funktionierenden Gemeinschaft“, sagt Jan und lächelt lieb, „wo sich jeder die Freiheit gibt, das zu tun, was ihm Spaß macht. Wenn alle etwas geben, kann es auch ohne Geld und Gesetz funktionieren. So ein Haus ist wie eine Schule für die Gesellschaft, die das auch braucht. Menschen müssen sehen, dass das funktioniert.“ Das „Sehen“ betont er. Fabian hält den Wiener Häuser-Raum, der überall leer steht, als ein Beispiel für unsere Verschwendungsgesellschaft. „Ich verstehe sowieso nicht, wieso so wenige Leute so Riesenareale verwalten. Das kann nicht funktionieren. Wir haben ein soziales Experiment und Forschung betrieben“, tönt er, „über die Conclusio will ich ein Buch schreiben, eine Mischung aus Studie und Roman, denn reine Wissenschaft liest keiner.“ Zu Weihnachten will er anfangen, im Frühjahr fertig sein. Zehn bis 15 Stunden die Woche über ein Jahr hinweg suchten die beiden ein passendes Gebäude für ihre Pläne, die Verhandlungen mit der Stadt ergaben nicht viel. „Wir sind Stadtteil-Macher“, lacht Jan plötzlich, der überhaupt lieber handelt als redet, „keine Stadtteilplaner“. „Seit zwei Jahren will die MA 18 ein Amt für Zwischennutzung machen, eine Gesetzesnovelle, dass Zwischenförderung unterstützt werden soll. Im rotgrünen Wien“, erklärt Fabian. „Aber es geht einfach nichts weiter. Das nächste Objekt soll größer sein und über mehr Open Air Fläche verfügen.“

„E. Bakalowits und Söhne, vormals k + k Hoflieferant“, steht auf einem Schild außen an der Fabrik. „Repräsentative Beleuchtungskörper, Glasprojekte in allen Stilrichtungen, Kristalluster, Ziergeräte, Bestecke, Dekorationsgegenstände, Geschenkideen.“ „Gehen wir drin“, sagt eine Holländerin. Oben stellt sich ein Gast selber hinter die Theke, weil es keinen Barkeeper gibt. Er schenkt Wasser in kleinen Glasvasen und Ouzo in gelben Keramiktassen aus. „Ich bin gerne der Chef“, sagt Jakob, und „der Ouzo schmeckt nach Bärendreck, wie wir in Südtirol zu Lakritze sagen“. Die S-Bahn fährt vorbei, ein Lichtzug in der Dunkelheit. Im Kamin brennt Feuer. Gruppen finden zusammen, quatschen, lachen, verflüchtigen sich – fröhliches Hin- und Herrennen. Einer bemalt die Wände mit einem schwarzen Filzstift, ein anderer legt Schallplatten auf. Noch immer drängen Kids herein. Die Stiegen sind glitschig. Zwei junge Punks stolpern die Treppe herunter. „Buh“, macht einer, weil ich schaue. Jakob nimmt mir meinen Block weg und schreibt „Wörterklau“ hinein.

Erschienen im Augustin 13. 11. – 26. 11. 2013

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