postheadericon „Wir Hacklerkinder wurden im Stich gelassen!“

Erwachsene „Heimkinder melden sich zu Wort“. Eine ganz eigene Form österreichischer Bevölkerungspolitik: Gastarbeiter_innen Babys wegnehmen, nicht verheirateten Müttern ihre Kinder entziehen und gewalttätige Übergriffe gegen Heimkinder vertuschen. Personell und ideologisch zeigen sich in der Heimkinder-Debatte Kontinuitäten aus Nationalsozialismus und Austrofaschismus.

„Wir sind Heimkinder, an uns ist ein Verbrechen begangen worden“, sagt der große Mann mit dem karierten Holzfällerhemd. „Man muss auch auf die Opfer hören. Wir haben selbst die Akten zu Wimmersdorf ausgehoben. Ich möchte mich entschuldigen, dass es eine heftigere Diskussion ist, denn es sind unsere Emotionen drin, das ist uns passiert.“ Es ist so erstaunlich, wenn man einen kräftigen, riesigen Mann Mitte vierzig, als Betroffenen über Missbrauch und Gewalt gegen Heimkinder der 1970er und 80er Jahre reden hört. Ganz lieb, ganz vorsichtig, ganz nachdenklich.

„Wir wollen nicht Rache, sondern Recht“

Auf der Tagung „Jugendfürsorge und Gewalt“ im Wiener Volkskunde-Museum sprechen einige ehemalige Heimkinder über ihre Gefühle und ihre Vergangenheit, sie scheinen gut vernetzt zu sein und sich gegenseitig zu stützen. Direktor Stellbogen trat in Wimmersdorf wie ein SS-ler mit Reitpeitsche auf, auch seine Frau Margarete war in der NSDAP, bis 1981 Heimleiterin mit Trillerpfeife und Hundeleine. „Wir sind mit den alten Geschichten noch nicht fertig“, sagt der Mann, der noch Narben von Fluchtversuchen hat. „Wir brauchen eine Lobby, Die sich nicht ausdrücken können, brauchen eine Lobby: Kleinkinder, Kinder mit Behinderungen.“
„Ich bin durch das Heim so getriggert, dass ich meinen Lebensabend nicht in Armut verbringen will“, sagt ein anderer. Hier wird auch die Langzeitwirkung von gewalttätigen Übergriffen klar, denn viele „von uns Opfern“ haben bis heute Krankheiten und hatten Probleme im Arbeitsleben, z. B. mit ausgeprägtem Misstrauen gegenüber Chefs und anderen Autoritäten. Einige landeten im Gefängnis, wo sie auf andere Heimkinder trafen. „Wir Hacklerkinder wurden von den Sozialisten im Stich gelassen!“, ruft einer, elegant mit weißem Pullover, geschlungenem Schal und Elvis-Frisur. „Wir wollen nicht Rache, sondern Recht. Jetzt sterben unsere Folterknechte regelmäßig weg. Die Minderbemittelten werden von der Rechtsprechung ausgeschlossen.“
Auf der Tagung erfährt man viele Details, die sinnlos und perfide wirken. Zum Beispiel  durften die Jugendlichen vom Lehrlingsheim Eggenburg ihre Berufe nicht frei wählen. Es gab eine Berufskommission, die Lehrberufe zuteilte. So mussten welche gegen ihren Willen Fleischhauer werden und fügten sich dann Schnittverletzungen im Sinne von Selbstverstümmelungen zu. Krankenschwestern des Wilhelminenspitals behielten Kinder bei Gewaltverletzungen länger auf der Krankenstation, enttäuschten aber, weil sie genau wussten, wer die Täter_innen waren, aber nichts unternahmen. „Jede Zeit hat ihre Formen von Gewalt“, sagt eine der Vortragenden, auf der von Gertrude Czipke sehr dicht konzeptierten und organisierten Tagung. Czipke zeichnete in ihrer Diplomarbeit die besondere Form der Verachtung und Verfolgung nach, der unverheiratete Mütter
und missbrauchte Kinder ausgesetzt waren.

„Wer wissen wollte, konnte wissen“
Durch zwei Schwestern, die vierzig Jahre später über die am Schloss Wilhelminenberg erlittene Gewalt sprachen, kam die Aufdeckung ins Rollen. Der „Kurier“-Journalist Georg Hönigsberger wurde mit Anrufen eingedeckt, und es gelang ihm, über 150 Artikel und Interviews zu ehemaligen Heimkindern unterzubringen. Er veröffentlichte nun, gemeinsam mit der Soziologin Irmtraud Karlsson, das Buch „Verwaltete Kindheit. Der österreichische Heimskandal“, das in einem nüchternen, klaren Stil Fakten liefert und Brücken baut, um die Erzählung aller dieser schrecklichen Schicksale und das Zutun der Behörden auszuhalten. Karlsson meint heute: „Wer wissen wollte, konnte wissen“. Ihrer 1970er-Jahre-Studie aus Tirol folgten berufliche Schwierigkeiten auf den Fuß. Sie deckte jetzt auf, dass damals Gastarbeiter-Kinder den Eltern weggenommen wurden, Babys bereits nach dem fünften Tag des Stillens!, weil die Eltern ohne Störung arbeiten sollten. Die Eltern mussten auch noch für das Zwangsheim zahlen. „Gewöhnliche Heime mussten die Eltern zahlen, wenn sie freiwillig der Fürsorge zustimmten, dann nicht. Fünfzig Prozent ihres Einkommens! Mit zehn Prozent der Kosten des Heimplatzes hätte die armen Eltern sehr gut leben können“, erklärt Karlsson die hohe Zahl armer Eltern, die ihre Kinder „freiwillig“ abgaben.
Über hundert Heimkinder zwischen 14 und 18 Jahren flüchteten 1976 in die besetzte Arena, darunter um die zwanzig Mädchen vom Wilhelminenberg. Prompt gab es Anzeigen gegen die Arena-Betreiber. Eine Kriminalisierung setzte ein. Als die Arena im Herbst geschlossen wurde, mussten die Mädchen zurück ins Heim, erzählt Herbert Leirer, der wegen Prügeleien mit Neonazis vor Gericht musste und sich auch an Selbstverletzungen von Gewalt-Opfern erinnert. „Das letzte Haus wurde von ehemaligen Heim-Jungen gehalten, bis im Spätherbst der Bagger reinfuhr.“
„Man muss die Entschädigungszahlungen entpersonalisieren“, fordert Journalist Hönigsberger, „es braucht eine eigene Stelle, die man an die Volksanwaltschaft anhängen könnte.“ „Statt dass die Täter dort sitzen, muss ich achtzig Stunden Therapie machen“, wundert sich der Mann im karierten Hemd über die Umdrehung der Verhältnisse. Die Opfer müssen sich mit den Folgen der Gewalt beschäftigen, die Täter_innen tun es nicht.

 

Georg Hönigsberger/Irmtraut Karlsson: Verwaltete Kindheit. Der österreichische Heimskandal, Kral Verlag 2013

Ehemalige Heimkinder, die zusätzliche Informationen zur Lage in den 1970er und 1980er Jahren beitragen können, werden gebeten, sich beim Augustin zu melden. Wir leiten an Gertrude Czipke weiter.

Ersterscheinung im Augustin 8. 1. – 21. 1. 2014

7 Kommentare to “„Wir Hacklerkinder wurden im Stich gelassen!“”

  • lukasz ludwig:

    23jahre heim ohne Unterbrechung haben mir das Herz gebrochen am Himmel rohrbach Edelhof wimmersdorf eggenburg zohmangasse Ute Bock ich komme nicht klar mit meinem leben gott schützte alle leidgenossen wie ich l.g.lukasz

  • .
    Torture of children in care. = Kinder in Heimen gefoltert.

    Kinder in Heimen gefoltert. = Torture of children in care.

    Warum nicht der UNO melden ?

    Der „Verein ehemaliger Heimkinder e.V.“ („VEH e.V.“) berichtet und lässt wissen:

    the beginning

    Care Leavers Autralia Network —-> VEH e.V.

    Veröffentlicht am 11. November. 2014 von admin

    Care Leavers Australia Network (CLAN) hat dem ständigen Vertreter Australiens bei der UNO eine Eingabe überreicht für die Anti-Folter-Kommission der UNO! Auf unseren Kontakt hin schrieb uns Leonie Sheedy, Vorsitzende von CLAN:

    ANFANG DES ZITATS DES SCHREIBENS DES AUSTRALISCHEN HEIMKINDERVEREINS AN DEN DEUTSCHEN HEIMKINDERVEREIN.

    An den Verein ehemaliger Heimkinder e.V. von Care Leavers Australia Network (CLAN)

    11.11.2014

    Vielen, vielen Dank für eure Mail.

    Es ist sehr gut zu wissen, dass unsere Eingabe an die Anti-Folter-Kommission viel für deutsche ehemalige Heimkinder bedeutet.

    [ Bild / Image ]

    Natürlich könnt ihr alles aus unserer Eingabe benutzen, was eurer Meinung dazu dient, dass Deutschen ehemalige Heimkindern Gerechtigkeit widerfährt.

    Desto mehr die Anti-Folter-Kommission von diesen Foltern geschehen an Kindern in Waisenhäusern etc. erfährt, umso besser.

    Ich kann euch also nur ermutigen, als NGO eine Eingabe bei der Anti-Folter-Kommission zu machen, weil Deutschland dann einen Bericht vor dem Kommittee abgeben muss. Es mag ein oder zwei Jahre dauern, aber sicher könnt ihr rausfinden, wann Deutschland mit seinem Bericht an der Reihe ist.

    Es ist sehr interessant, was ihr von den Sachleistungen des Fonds schreibt. Wir von CLAN (Care Leaver Australia Network) hätten das nie so akzeptiert. Lange genug wurden wir von der Regierung kontrolliert!

    Wir kämpfen seit nunmehr 7 Jahren um unser Recht – s. Twitter zu unseren Protesten in Melbourne am Montag [ 10. November 2014 ].

    [ Bild / Image ]

    Ich würde euer Schreiben gern auch an Peter McClellan, Vorsitzender der [ Royal Commission = ] Königlichen Kommission zur Untersuchung von institutionellem Kindesmissbrauch und an die Journalistin Annette Blackwell, weitergeben. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen.

    Außerdem wäre es gut, wenn ihr einen Bericht über Pro und Kontra der Zahlungen, wie sie in Deutschland gehandhabt werden, direkt an die [ Royal Commission = ] Königliche Kommission schicken würdet. Die werden nämlich im Januar einen Entwurf zu Entschädigungen für ehemalige Heimkinder in Australien herausgeben.

    Mit freundlichem Gruß

    Leonie Sheedy
    Vorstand CLAN

    ENDE DES ZITATS DES SCHREIBENS DES AUSTRALISCHEN HEIMKINDERVEREINS AN DEN DEUTSCHEN HEIMKINDERVEREIN.

    Wir werden ihren Vorschlag aufgreifen und als erstes einen Bericht für die [ Royal Commission = ] Königliche Kommission zur Untersuchung von institutionellem Kindesmissbrauch an den Richter Peter McClellan und die renommierte Journalistin Annette Blackwell schreiben und auf den Weg schicken.

    Gleichzeitig werden wir einen Bericht für den deutschen Botschafter der UNO in New York, Dr. Harald Braun, ausarbeiten und ihm diesen zukommen lassen.

    the end

    QUELLE: Vereinswebseite des „Verein ehemaliger Heimkinder e.V.“ („VEH e.V.“) in der Rubrik »Aktuelles« @ http://www.veh-ev.eu/home/vehevinf/public_html/uncategorized/care-leavers-autralia-network-veh-e-v/
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    „Natürlich ist der Schutz der Bürger erste Staatspflicht.“

    Als zu schützende Personen / Subjekte eines europäischen Staates oder als Ansässige oder Gäste und Besucher ( oder auch ‚Gefangene‘ / ‚Insassen‘ ) in einem solchen Staat, d.h. als Kinder und Jugendliche in den damaligen ‚Heimen‘ und ‚Anstalten‘ in einem solchen Staat – ob in Deutschland, ob in Österreich oder ob in der Schweiz; oder ob in England und Wales, ob in Irland oder ob in Schottland – und, als solche Personen / Subjekte in unserer rechtmäßigen Einforderung des Schutzes des Staates, stützen wir uns einzig und allein vollumfänglich IM EINZELNEN UND IN IHRER GESAMTHEIT AUF DIE ARTIKEL DER EUROPÄISCHEN MENSCHENRECHTSKONVENTION ( ratifiziert in Deutschland in 1952 und ratifiziert in Österreich in 1958 ). Nichts anderes, und nichts weniger.
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  • Nicponsky:

    Die Henker die uns nach Wimmersdorf geschickt haben sollen die 80 Therapiestunden nehmen, die sie uns aufschwatzen. Und ein zwei Liter täglich vom VERSEUCHTEN Wasser trinken. Coliforme Keime sind gesund, man griegt eh nur Magengeschwüre Lungenentzündung Lybome und den Krebs. Und wenn den netten Herren von der Arbeiterpartei der Kot gemischt mit Magensäure am Arsch runterrinnt dann griegens a Kohletablette. Weil wir verteilen SOZIALE WÄRME. FREUNDSCHAFT

  • Danke für Ihren klaren und wesentlichen Artikel, Frau Kellermann!

    Weiterführendes und Details bez. des Kinderheims Wimmersdorf:
    http://ruzsicska.blogspot.com
    http://kommissionsbericht-wimmersdorf.blogspot.com
    http://erziehungsheim-wimmersdorf.blogspot.com/

  • Michael:

    Ich war bei dieser Veranstaltung, die mir wie eine Selbstbeweihräucherung der Vortragenden vorkam. Die Damen und Herren „Wissenschaftler“ suchten Händeringend um eine Erklärung warum sie damals nicht eingeschritten sind. Damals wie Heute verdienen die „Wissenschaftler“ an den Leiden der ex- Heimkinder. Anstatt den ex-Heimkindern ordentliche Entschädigungen zu Zahlen versickern die Gelder wieder in den Taschen der „Oberen“. Wir Heimkinder mussten unser ganzes Leben am Existenzminimum dahindarben, jetzt im Alter haben wir es satt, dass sich wieder viele auf unseren „Buckel“ die Taschen Füllen. Überall werden uns Prügel vor die Füße geworfen, sind ja eh nur die asozialen Heimkinder. Wir haben Berge von Akten über das Kinderheim Wimmersdorf zusammengetragen. In der Hoffnung, dass dieses Unrecht nie wieder passieren darf wollen wir die Missstände aufzeigen, nur interessiert es niemanden. Ein verpfuschtes Leben, dank Fremdunterbringung immer an der Armutsgrenze, fordern wir für alle ex-Heimkinder die gepeinigt wurden eine Opferpension nach dem Verbrechensopfergesetz.

  • karl martinek:

    ich finde deinen beitrag sehr sachlich genau und übersichtlich auch die Bemerkung des grossen mannes hast du genau noch im hirn ggg .. was mich halt am meisten interessiert ist das nicht nur Magistrate, länder klöster oder lände schuld an sich hatten….AUCH DER STAAT… ich war in kaiserebersdorf und auch in einem aussenlager daon… kirchberg am wagram dort wurde gefoltert im eigentlichen sinn der Staat… Justiz hielt sich in den 60er jahren ein eigenses quantanamo… fürWAS??? diese frage wird nie beantwortet, 10 000 euro hab ich für echte folter bekommen… Entscheidung des weissen rings.. auch diesem verein geht niemand nach… kommisionsmitgleider des weissen rings sitzen auch in der klanic kommision und umgekehrt…. mah ich bin soooo zornig lg koarl

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