postheadericon Die Selbstgemordeten der Nazi-Zeit

Vor dem Whiteread-Mahnmal am Wiener Judenplatz wurden in der Gedenkveranstaltung »Das Echo der Namen« am Abend des achten November 2021 die Namen jener Menschen verlesen, die ihrem Leben wegen der Nazis ein Ende setzten.

Foto: Wladimir Fried

Goldenes Licht, gelb schimmernde Glasfenster mit Davidsternen darin. »Betreten wir das Gebiet mit Vorsicht und Respekt«, wird am Anfang gesagt, denn die Wiener Selbstmorde in der Nazizeit sind noch nicht viel erforscht – es sei die erste Veranstaltung zu dem Thema. Das Symposium »Erzwungener Freitod« im Misrachi Haus befasste sich wissenschaftlich erstmalig mit jenen von den Nationalsozialisten als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen, die sich während der NS-Herrschaft das Leben nahmen, um Ausgrenzung, Erniedrigung, Verfolgung bzw. Deportation zu entkommen. »Rabbi Wassermann kam extra aus Jerusalem angereist, um bei unserer Tagung dabei zu sein«, lächelt der Begrüßer. Wir befinden uns im Misrachi Haus am Wiener Judenplatz und in dieser Nacht vom achten auf den neunten November 2021 werden alle Lichter in der Misrachi Synagoge eingeschaltet bleiben, um zu zeigen, dass es »den Nazis nicht gelungen ist, den Juden das Licht auszulöschen«. »That the jewish lights never turned off«, betont Rabbi Wassermann. Die Fenster leuchten nach draußen.

Foto: Wladimir Fried

Éva Kovacs, stellvertretende Direktorin für wissenschaftliche Angelegenheiten am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) berichtet, dass Simon Wiesenthal insgesamt drei Selbstmord-Versuche überlebte! Er schrieb: »Was für eine Bitterkeit in mir war… Jetzt mache ich nichts mehr, dachte ich, aber ich habe noch versucht, mich an der Unterhose aufzuhängen, ich versuchte sie zu drehen, zu drehen, doch der Knoten löste sich.« In Folge beschloss er für sich: »Ich glaube, mir ist es erlaubt zu leben« und »den Imperativ des Erinnerns und Recherchierens« anzunehmen.

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postheadericon Schwäche zeigen hat damals den Tod bedeutet

Über 30.000 Überlebende des Holocaust hat der Nationalfonds im Laufe der Jahre unterstützt. Im September wird die neugestaltete österreichische Länderausstellung im ehemaligen KZ Auschwitz eröffnet. Nationalfonds-Generalsekretärin Hannah Lessing über ihre anders ausgelebte Schauspiel-Karriere, ihren apodiktischen Vater und ihre in Auschwitz ermordete Großmutter, die Konzertpianistin war.

Hannah Lessing (r) mit Esther Bejarano

Wie lief es während Corona mit Ihrer Arbeit mit den Holocaust-Überlebenden?

Leider sind sehr viele gestorben. Einige durch Covid. Vielen hat aber auch die Einsamkeit zu schaffen gemacht. Manche fragten sich, was kann ich noch machen, wenn die Schulen, in die als Zeitzeugin gehe, versperrt sind? Es war schwierig, Kontakt zu halten. Ich hatte mehrere große Video-Konferenzen für Senior Jewish Retirement Homes. Eine Überlebende in Albany ist jetzt 101 Jahre alt geworden! Mein Großcousin in Israel ist als letzter Lessing aus dieser Generation gestorben.

Ihre Eltern waren extrem kreativ, die Mutter Traudl Lessing in Texten, der Vater Erich Lessing in Bildern. Sie haben aber Wirtschaft studiert. Konnten Sie Ihre Kreativität mit Zahlen ausleben?

Nein! Gar nicht! Wirtschaft habe ich studiert, weil ich meinen Traumberuf als Schauspielerin nicht realisieren konnte. Als Jugendliche spielte ich in dem Film „Holocaust“ mit Meryl Streep mit. Das war eine Miniserie, wir drehten in Mauthausen. Ich hatte meinen Vater so lange getriezt, bis er sagte, eine Freundin castet gerade für einen riesigen Hollywood Film, bei dem kannst du mitspielen. Auch bei Tarabas, einer Josef Roth-Verfilmung in der Regie von Mischa Kehlmann, war ich dabei. Die Aufnahmeprüfung im Reinhardt-Seminar verpasste ich, weil ich in Israel im Kibbuz verlängert hatte. Es hat sich durch meinen Beruf dann sowieso ergeben, dass ich viel auf der Bühne stehe. Meine erste Rede hielt ich 1995 in Israel, kurz nach dem Attentat auf Yitzhak Rabin. Seit damals habe ich weltweit unzählige Reden gehalten.

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postheadericon Nachruf: Esther Bejarano R.I.P.

Wie wird es nun weitergehen? Wird Tochter Edna Bejarano in Zukunft den Vokalpart in der Band übernehmen, nachdem die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano gerade mit 96 Jahren gestorben ist? Zu wünschen ist es der „Bejarano & Microphone Mafia“ dringend, denn das sehr mutige Projekt sollte irgendwie weiterleben. Als Auschwitz-Überlebende mit den eigenen Kindern und italienischen bzw. türkischen Rapper widerständige Musik zu machen, war sehr mutig.

Gegen heutigen Rassismus und Rechtsradikalismus redete Esther Bejarano immer stark, hart und klar. Aber über all das durch die Nazis erzeugte Elend, die Morde, das Konzentrationslager – schwere Suche nach Worten. Das Singen mit den klaren starken Texten zum Widerstand half sicher. In der Bejarano-Band: Ein unruhiger Türke, der viele Worte macht, ein Rapper, ein Redeprofi. Esthers Sohn Joram, der fast nichts redete, nur lächelte und rauchte. Esther Bejaranos Vater war Kantor. Nun ist sie gestorben, die kleine starke Frau, die so viel Kraft aufbrachte, um zu den Menschen zu gehen und ihnen etwas zu schenken: Ungebrochenen Widerstandsgeist.

Ersterscheinung im Augustin Nummer 533, 28. 7. – 24. 8. 2021

postheadericon Den Grazer Stadtpark-Adler verbergen

Der Künstler Eduard Freudmann bemüht sich die tapfere und widerständige Tradition seiner Großeltern fortzuführen, indem er den öffentlichen Raum umgestaltet. In Graz veränderte er das „Befreiungsdenkmal“ im Stadtpark. Die Figur mit dem Adler, der einem Käfig entsteigt und davon fliegt, wurde in einen rosa Sockel gehüllt.

„Mein Großvater gebar Gedichte“, sagte der Künstler Eduard Freudmann bei seiner Wiener Performance „The White Elephant Archive“ im Wiener Theater Hamakom. Seine Großmutter stellte ein Familien-Archiv zusammen, das Freudmann zehn Jahre lang obsessiv beschäftigte. Immer wieder entwarf der Künstler Projekte dazu, zweifelte aber und gab sie wieder auf. Mit seiner Performance fand er dann endlich eine Form, auf ganz eigene Weise für die dritte Generation nach der Shoah, einige Ambivalenzen seiner Familie darzustellen.

Durch sieben Lager hatte Großvater Armin Freudmann seine Gedichte geschmuggelt, den Todesmarsch nach Buchenwald entlang – zweimal rekonstruierte er sie nach Verlust. Sein Enkel hingegen bemüht sich nun schon lange um das Lueger-Denkmal in Wien und war bei einer Mahnwache live dabei, als die Identitären angriffen. Eduard Freudmann hofft dringend auf eine aussagekräftige Intervention zu dem Denkmal: „Die Ehrung von Lueger soll verunmöglicht werden. Eine Wischi-Waschi-Veränderung reicht nicht aus.“ In Graz gestaltete er das „Befreiungsdenkmal“ um.

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postheadericon In Österreich unterdrückte Lebensgeschichten

Wo sind linke jüdische Strukturen, die es in Österreich sehr wohl gab, abgeblieben? Hazel Rosenstrauch suchte und befragte Mitwirkende an der Wiener Zeitschrift »Tagebuch«. Inzwischen gibt es eine Neuauflage dieser legendären Publikation.

Als sich die Journalistin Hazel Rosenstrauch nach langer Abwesenheit Ende 1988 in Wien niederlässt, trifft sie auf ein alt bekanntes Milieu, das »auf Außenstehende anachronistisch oder zumindest exotisch wirken muss« – auf Menschen, die ihr aus der eigenen Familie her vertraut erscheinen. »Ihre Biografien sind von Verfolgung, Emigration, Antifaschismus und Antistalinismus geprägt. Sie sind aus der Partei ausgetreten oder hinaus geschmissen worden, als der Prager Frühling niedergewalzt wurde. Das Wiener Tagebuch war ihr Rückgrat«, schreibt Rosenstrauch. Sie nennt diese »Kultur einer Minderheit in der Minderheit“, eine Stammeskultur. Ein »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« und die Kritik am Stalinismus bestimmten diese Stammeskultur. In Wien hätte sich ein »längst überholtes kommunistisches Lebensgefühl« mehr als anderswo erhalten. Sie befragt diese Leute, sucht nach ihrem Erbe – auch nach jüdischen Verbindungen in dieser Bewegung. Teilweise schwierig, denn: »Sie haben ihr Leben lang gelernt zu agitieren, in fertigen Sätzen mit pädagogischer Absicht das Positive hervorzuheben«. Ein feiner, liebevoller Humor kennzeichnet Hazel Rosenstrauchs Buch »Beim Sichten der Erbschaft. Wiener Bilder für das Museum einer untergehenden Kultur« durchgehend aus.

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