postheadericon Hitler wird nicht abgestaubt

Foto: Beste ErenerFriedensarbeit im Freiwilligen-Netzwerk „Service Civil International“: Was bedeutet Krieg? Was Friede? Was ist mit den Kriegsresten in den Köpfen? Ein Rundgang durch das Wiener Heeresgeschichtliche Museum mit dem Service-Civil-International-Aktivisten Florian Rogger.

„Angst macht unheimlich müde“, schreibt Arkadi Babtschenko in „Die Farbe des Krieges“. Und: „Mein Spieß ist ein toller Kerl. Wenn ich ein Hund wäre, würde ich jetzt mit dem Schwanz wedeln.“ Der junge russische Soldat deckte in seinem Buch über den Tschetschenienkrieg den mörderischen Sadismus unter den eigenen Leuten im russischen Militär auf. „Lebende Menschen beachten wir nicht, sie fallen uns gar nicht auf. Alles Lebendige ist für uns flüchtig. Auch wir sind Zeitweilige“, schreibt er. „Kahlgeschorene Jungs, manchmal mißmutig, manchmal witzig…, so trieb man uns in den Krieg und tötete uns zu Hunderten. Alles was wir konnten, war weinen und sterben. Und wir starben.“ Das ganze Regiment ritzt sich die Blutgruppe in die Brust. „Die Pflasterstraße, auf der wir fahren, ist nach dem großen Vaterländischen Krieg von deutschen Kriegsgefangenen gebaut worden. Eine Straße des alten Krieges, gebaut für den neuen. Die Menschen können es nicht lassen, sich zu töten.“

Foto: Beste Erener

Schauplatzwechsel: Das Arsenal in Wien mit seinen Backsteinbauten, ganz hinten das Heeresgeschichtliches Museum. Auf der goldenen Hitler-Kopf-Statue von Ferdinand Liebermann im Saal über den Zweiten Weltkrieg liegt oben dick Staub drauf. „Eisenguß, goldbronziert, von 1939–44 in der Ruhmeshalle des Heeresgeschichtlichen Museums aufgestellt“, steht dabei. Der illuminierte Hitler-Kopf ist durch eine Scheibe dickes Plexiglas, geschützt. „Der Einsatz von Gewalt scheint sich gelohnt zu haben“, meint Florian vom „Service Civil International“ mit trockenem Humor. Der Südtiroler Student und Friedens-Aktivist scheint nicht besonders beeindruckt zu sein von der dichten und düsteren Kriegs-Sammlung des Museums. Er liest die kurzen Textfelder neben den Waffen und Uniformen ganz genau. „Willenlos war das österreichische Volk nicht, wie der Heldenplatz bewies. Aber entmachtet“, steht auf einer Tafel.
„Opfer der Aggression“ steht groß über einigen Uniformen mit Nazi-Emblemen darauf. Darunter liegen Granitblöcke aus dem Steinbruch des KZ Mauthausen, daneben ein gequetschtes Teil, das wie surrealistische Kunst ausschaut, aber ein Bestandteil des „Volksjägers“ HE 162 ist. Ganz klein am Boden liegt die blaugrau gestreifte Sträflings-Jacke eines KZ-Häftlings, darüber hängt ein Riesen Eisending, „Schnitt-/ Lehrmodell eines Strahlentriebwerkes Jumo 004, verwendet bei Flugzeugen des Typs Mc 262“. Florian erzählt, wie er nach dem  Besuch des Konzentrationslagers Dachau die ganze Nacht nicht schlafen konnte. „Unter Zwölfjährige hatten im Museum keinen Eintritt“, sagt er und beobachtet einen Kleinen, der sich bemüht, seinen begeisterten Opa nicht aus den Augen zu verlieren. Im Panzergarten meint ein Vater, ein „intergalaktischer Todessternzischer“ aus der Lieblings-Fernsehserie seines Sohnes sei viel gefährlicher als „diese veraltete Technologie von Bergepanzern“ hier. Florian erzählt von seiner Fahrradtour nach Serbien, wo auch noch einige verrostete Panzer herum ständen. „So viele Waffen auf einem Haufen, selbst wenn sie inaktiv sind, haben für mich etwas Befremdliches, vor allem wenn man bedenkt, wie die Leute gelitten haben und was sie sich gegenseitig angetan haben. Ich möchte dem HGM nicht seine Berechtigung absprechen, aber so manches könnte ausführlicher ins Lichte der historischen Ereignisse eingebettet sein “, meint er.

Foto: Beste Erener

Holzschnitzer ohne Arm

Florian hat im vergangenen Jahr über das Freiwilligen-Netzwerk „Service Civil International“ an zwei Workcamps in Palästina teilgenommen. Emotional beeindruckt stand er vor Rätseln über die Situation: „Das Areal in der Nähe von Bethlehem, in dem der Kinderbetreuungs-Workshop statt fand, ist im Laufe von zwei Jahrzehnten von israelischen Siedlungen umzingelt worden. Ich fragte mich die ganze Zeit: Warum will jemand in diesem öden Steppengebiet leben? Es gibt ziemlich zähe Dornbüsche, die nicht viel Wasser brauchen und wenn sogar die vertrocknen, ist das doch wirklich eine ungute Gegend. Wie unter solch extremen Lebensbedingungen überleben?“ Das Areal verfügte im Gegensatz zu den Siedlungen weder über fließendes Wasser noch Strom. Nach dem Heeresgeschichtlichen Museum, auf dem Weg in die Stadt am Belvedere entlang, erzählt Florian plötzlich ein „eingängiges Erlebnis“ mit seinem Opa, der „als lediges Kind in der nationalsozialistischen Ideologie seinen Halt gefunden“ habe. Der Handwerker und Holzschnitzer verlor im Zweiten Weltkrieg einen Arm und begann in Kriegsgefangenschaft mit links zu schnitzen. Florians Mutter sagte ihrem Vater später ausführlich die Meinung: „Schau dir doch an, wohin dich der Hitlerkrieg geführt hat!“ Mitten in der
späteren Alzheimer-Verwirrung stand der Opa nun einmal vom Tisch auf, da er zwei geschnitzte Holz-Löffel an der Wand erblickte und meinte zur Mutter „Die habe ich gemacht!“ Für Florian trug diese Geschichte dazu bei, ein Friedensaktivist zu werden, denn: „Wenn Kriegserlebnisse so einprägsam sein können, kann das Friedensaktivismus vielleicht auch?“ Wie Krieg und Frieden auseinander dividieren? Geschichte von Gegenwart abtrennen? Das ist nicht möglich. „Der Krieg hat, wie sich herausstellt, gar nichts Ungewöhnliches“, schreibt Babtschenko. „Krieg ist Leben, einfach Leben, nur unter sehr schweren Bedingungen, wo man auch noch versucht, dich zu töten.“

Erschienen im Augustin 329, 3. 10. – 16. 10. 2012 

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