Artikel-Schlagworte: „Kunst“
Fürchterliche Geister
Sanja Ivekovic: Ausstellung und Publikation.
Durch ihre Ausstellung in der Kunsthalle Wien konnte die Künstlerin Sanja Ivekovic endlich die Gedichte ihrer Mutter veröffentlichen. „Sanja Ivekovic ist jemand, die Sentimentalität vermeidet“, sagt eine der Direktorinnen der Kunsthalle Wien bei der Präsentation des Gedichtebands von Ivekovics Mutter, die in Auschwitz war. „Auch wenn Themen wie die Rolle der Kämpferinnen nach dem Krieg Sanja sehr beeinflussten, wird sie diese nie direkt ansprechen.“ Die Mutter, Nera Safaric-Ivekovic, drückte sich sehr eigen und schön aus: „Ich frage mich, warum ihr die Köpfe unter den Armen tragt, wenn es nicht regnet.“ Im Jahre 1988 brachte sich die Mutter um, zu ihren Lebzeiten erschienen allein drei Gedichte. Auf einem schwarzen Tisch in der Ausstellung „Works of the Heart 1974-2022“ liegen zwei Exemplare des großen wunderschönen Buches „Weh dem, der sich vor Geistern fürchtet“ auf, das in einer limitierten Auflage von 200 Stück in der Kunsthalle auch zu kaufen ist. Sanja Ivekovic verstand die Lebensgeschichte ihrer Mutter als „außerordentliche Case Study über den Widerstand des Einzelnen gegen Autoritarismus jeglicher Couleur“, sagt die Direktorin. „Knochen an Knochen auf dem Baum des belaubten Todes“, schrieb die Mutter, und „…ich weiß selbst nicht wo ich mich suchen soll“. Zwei jungen Leuten gefallen in der Ausstellung besonders die roten zerknüllten Zettel am Boden, auf denen die Rechte von Flüchtlingsfrauen stehen, die „man in Österreich mit Füßen tritt“.
Ersterscheinung im Augustin Nummer 565, 14. 12. 2022 – 17. 1. 2023
Gefäße der Bewegung
Friedl Dicker-Brandeis: Multimediale Künstlerin der Moderne.
Was bleibt von einer sehr beweglichen Künstlerin? Tusche- und Kohlezeichnungen auf beigem Papier. Fragile Werke in Glastischen. Ein blaues Gewölbe mit Blumen auf Gold, knarrende Holzböden. Im Wiener Heiligenkreuzerhof ist gerade zu sehen, wie spannend eine Ausstellung sein kann, in der eigentümliche Räume mit der ausgestellten Kunst kooperieren und diese neu präsentieren. Ursprünglich befand sich hier die barocke, großbürgerliche Wohnung eines Abtes.
Schwäche zeigen hat damals den Tod bedeutet
Über 30.000 Überlebende des Holocaust hat der Nationalfonds im Laufe der Jahre unterstützt. Im September wird die neugestaltete österreichische Länderausstellung im ehemaligen KZ Auschwitz eröffnet. Nationalfonds-Generalsekretärin Hannah Lessing über ihre anders ausgelebte Schauspiel-Karriere, ihren apodiktischen Vater und ihre in Auschwitz ermordete Großmutter, die Konzertpianistin war.

Hannah Lessing (r) mit Esther Bejarano
Wie lief es während Corona mit Ihrer Arbeit mit den Holocaust-Überlebenden?
Leider sind sehr viele gestorben. Einige durch Covid. Vielen hat aber auch die Einsamkeit zu schaffen gemacht. Manche fragten sich, was kann ich noch machen, wenn die Schulen, in die als Zeitzeugin gehe, versperrt sind? Es war schwierig, Kontakt zu halten. Ich hatte mehrere große Video-Konferenzen für Senior Jewish Retirement Homes. Eine Überlebende in Albany ist jetzt 101 Jahre alt geworden! Mein Großcousin in Israel ist als letzter Lessing aus dieser Generation gestorben.
Ihre Eltern waren extrem kreativ, die Mutter Traudl Lessing in Texten, der Vater Erich Lessing in Bildern. Sie haben aber Wirtschaft studiert. Konnten Sie Ihre Kreativität mit Zahlen ausleben?
Nein! Gar nicht! Wirtschaft habe ich studiert, weil ich meinen Traumberuf als Schauspielerin nicht realisieren konnte. Als Jugendliche spielte ich in dem Film „Holocaust“ mit Meryl Streep mit. Das war eine Miniserie, wir drehten in Mauthausen. Ich hatte meinen Vater so lange getriezt, bis er sagte, eine Freundin castet gerade für einen riesigen Hollywood Film, bei dem kannst du mitspielen. Auch bei Tarabas, einer Josef Roth-Verfilmung in der Regie von Mischa Kehlmann, war ich dabei. Die Aufnahmeprüfung im Reinhardt-Seminar verpasste ich, weil ich in Israel im Kibbuz verlängert hatte. Es hat sich durch meinen Beruf dann sowieso ergeben, dass ich viel auf der Bühne stehe. Meine erste Rede hielt ich 1995 in Israel, kurz nach dem Attentat auf Yitzhak Rabin. Seit damals habe ich weltweit unzählige Reden gehalten.
Den Grazer Stadtpark-Adler verbergen
Der Künstler Eduard Freudmann bemüht sich die tapfere und widerständige Tradition seiner Großeltern fortzuführen, indem er den öffentlichen Raum umgestaltet. In Graz veränderte er das „Befreiungsdenkmal“ im Stadtpark. Die Figur mit dem Adler, der einem Käfig entsteigt und davon fliegt, wurde in einen rosa Sockel gehüllt.
„Mein Großvater gebar Gedichte“, sagte der Künstler Eduard Freudmann bei seiner Wiener Performance „The White Elephant Archive“ im Wiener Theater Hamakom. Seine Großmutter stellte ein Familien-Archiv zusammen, das Freudmann zehn Jahre lang obsessiv beschäftigte. Immer wieder entwarf der Künstler Projekte dazu, zweifelte aber und gab sie wieder auf. Mit seiner Performance fand er dann endlich eine Form, auf ganz eigene Weise für die dritte Generation nach der Shoah, einige Ambivalenzen seiner Familie darzustellen.
Durch sieben Lager hatte Großvater Armin Freudmann seine Gedichte geschmuggelt, den Todesmarsch nach Buchenwald entlang – zweimal rekonstruierte er sie nach Verlust. Sein Enkel hingegen bemüht sich nun schon lange um das Lueger-Denkmal in Wien und war bei einer Mahnwache live dabei, als die Identitären angriffen. Eduard Freudmann hofft dringend auf eine aussagekräftige Intervention zu dem Denkmal: „Die Ehrung von Lueger soll verunmöglicht werden. Eine Wischi-Waschi-Veränderung reicht nicht aus.“ In Graz gestaltete er das „Befreiungsdenkmal“ um.
When she looked
Einen Raum erschaffen, in den man eintreten kann, möchte die Malerin Tess Jaray. Ihre Bilder sind sehr reduziert und geben viel Assoziationsraum.
„Ich habe wenig Erinnerung an meine Kindheit“, sagte die britische Künstlerin Tess Jaray einmal in einem Interview. Doch jetzt, als Jaray das Cottage ihrer Eltern ausräumte, fand sie Kinderzeichnungen, auf denen sie fünfjährig die englische Landschaft dargestellt hatte. Mit lauter Linien in der Gegend: nämlich den dominierenden Hecken, die die Landschaft aufteilten, den Blick lenkten, aber auch einen Rahmen boten. „Vielleicht begann alles damit“, scherzt Jaray im Zoom-Interview und zieht an ihrer Zigarette. Erstmalig ist das Werk der Minimalistin, deren Wiener Eltern vor den Nazis fliehen mussten, in Österreich ausgestellt. Das Baby Räsel war auf der Flucht erst sechs Monate alt.