postheadericon „Was mich nicht umbringt, macht mich härter“

Andreas Peham: Haider fühlte sich als Nachkomme von Erniedrigten. Warum distanzierten sich die Kinder oder Enkel von österreichischen NationalsozialistInnen so schwer von ihren Eltern? Warum wollten sich die Politiker Jörg Haider und Heinz Christian Strache als Opfer fühlen, anstatt eigene Ambivalenzen zu thematisieren? Andreas Peham, Rechtsextremismus-Experte des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, spricht über verdrehte Opfer-Geschichten. 

 

In Deutschland protestierten die Söhne und Töchter von Nationalsozialisten gegen ihre Eltern. Warum nicht in Österreich?

Es gibt ein Buch von Claudia Brunner, der Nichte oder Großnichte von Alois Brunner, einem wichtigen NS-Täter. Der Historiker Gerhard Botz arbeitete zu seinem Vater auf dem Balkan, aber erst, als er selber schon emeritiert war. Peter Sichrovsky schrieb schon in den 80er Jahren das Buch „Schuldig geboren“. Er stammt aus einer linken, jüdischen Familie und versuchte, Jörg Haider von seinem Nazi-Vater weg zu bringen. Sichrovsky, der sich zwischen 1994 und 2002 an führender Stelle in der FPÖ engagierte, ist nach Knittelfeld wieder aus der FPÖ ausgetreten. Er sagt später, er ist gescheitert. Jörg Haider hat ihn wie einen Ersatzvater behandelt. Robert Haider, Jörgs echter Vater, war ein illegaler Nazi. Als der „Fall Kampl“ öffentlich diskutiert wurde, sprach Haider über dieses Dilemma: Sigi Kampl, Bürgermeister von Gurk, ein Kärntner, auch in der FPÖ und ebenfalls das Kind von Nazis, beschwerte sich über die brutale Nazi-Verfolgung und denkt dabei natürlich an seine eigene Familie. Haider sagte dann in Reaktion darauf, und das war einer der wenigen ehrlichen Momente in einem Interview: „Sie wissen gar nicht, was es heißt, als Kind von Nazis aufzuwachsen.“

Waren Jörg Haiders Eltern beide Nationalsozialisten?

Ja, auch seine Mutter Dorothea Haider war es. Der Psychotherapeut Klaus Ottomeyer beschrieb, wie insbesondere der geschlagene Nazi-Vater seine Rache- und Revanche-Gelüste auf den Sohn überträgt, an ihn delegiert. Das Verstummen mancher Väter ist aber sicher auch eine Reaktion auf das viele „Heil Hitler“-Schreien am Heldenplatz. Haider stellte sich oft als Opfer dar. Es kann nicht stimmen, aber es ist eine bezeichnende Fantasie von ihm, nämlich dass er hätte mitansehen müssen, wie ehemalige „KZ-ler“ seine Mutter gezwungen hätten, den Boden zu schrubben. Das finde ich ganz spannend. Denn das hat es zu dem Zeitpunkt, an den er sich erinnert, nämlich in den 1950er Jahren, ganz sicher nicht gegeben. Er vermischt ein paar Sachen in diesem Bild, datiert Bilder um. Was stimmt – Stichwort Trümmerfrauen – ist, dass vor allen Dingen Frauen aus Nazi-Familien gezwungen wurden, zum Teil unter Tragen der Hakenkreuzbinden, den Schutt weg zu räumen und zu putzen. In der Fantasie nahm Haider Bilder des straßenwaschenden Juden und projizierte seine Eltern hinein. Es halten sich viele Erzählungen von marodierenden „KZ-lern“, die durch die Lande ziehen, plündern und sich quasi rächen würden. Vereinzelt gab es in Teilen Deutschlands sicherlich solche Fälle. Das betraf aber nicht die eben aus den Lagern Befreiten. Was mir dabei wichtig scheint: Die Nazieltern-Kinder fühlen sich als Nachkommen von Erniedrigten und Beschämten. Die Beschämung muss gar nicht statt gefunden haben, aber die Nachgeborenen empfinden es so. Es ist natürlich eine Erniedrigung und Enttäuschung, die ihnen weiter gegeben wurde.

Aber laut Profil-Recherchen haben sich nicht einmal die Enkel distanziert. Wie gibt’s das?

Es gibt das Buch „Opa war kein Nazi“, eine deutsche Forschungsarbeit, die leider nicht in Österreich fortgesetzt wurde. Viele gestandene Antifaschisten erzählen mir, dass ihr Opa bei der NSDAP, SS oder SA usw. war, Dann aber, und das finde ich so bezeichnend, kommt am Ende immer: „Aber Opa war kein Nazi“. Es gibt das Wissen und dann die Weigerung, dieses Wissen zuzulassen. Das nennt man Absperrung. Ein bestimmtes Wissen bleibt von der Emotion abgesperrt, und festhalten tut man sich nicht am Wissen, dass der Opa ein Nazi war, sondern am Gegenteil. Heinz Christian Strache ist ein anderes gutes Beispiel: Der Vater verlässt die Familie, als er drei Jahre alt ist. Strache hat zwei Großväter. Einer, der ein sogenannter „Vertriebener“ ist, erzählt ihm von klein auf Geschichten aus seiner Heimat. Bei diesen Erzählungen ist sicher viel Anti-Tschechisches dabei, der Großvater hatte sicher viel Wut im Leib, von der er dem Jungen einiges mit gab. Der zweite Opa war bei der Waffen-SS, er fällt im April 1945 bei Trier. Und jetzt kommt es: Strache weiß, dass er gefallen ist, und ich kann beweisen, dass er es weiß, und trotzdem behauptet er, dass sein Opa am 9. Mai von der Resistance, der französischen Widerstandsbewegung, hingerichtet worden sei. Ein „Nachkriegsverbrechen“ des Antifaschismus, so nennt es Strache. Er begreift sich selbst als Nachkomme eines Opfers des Antifaschismus und sein politischer Antrieb besteht maßgeblich darin, den Opa zu rächen.

Woher weißt du das? Welche Quellen hast du?

Ich beziehe mich auf ein Interview, das Strache Andreas Mölzer gab. Darin erzählt er, dass er mit 14 Jahren in der achten Schulstufe erstmalig etwas über den Nationalsozialismus erfährt, das er vorher in der Familie noch nie gehört hat, z. B. über den verbrecherischen Charakter der SS und der Waffen SS. Er hat offenbar einen guten Lehrer gehabt. Und jetzt steht Strache vor der Wahl, wie viele andere auch, entweder die Identifikation mit dem Großvater aufzugeben und sich mit Lehrer oder Lehrerin zu identifizieren, dem Anti-Nazismus, der Zweiten Republik etc., oder die Identifikation nicht aufzugeben und in Opposition zu gehen. Mölzer fragt ihn, was der Anfang seines politischen Engagements war und Strache sagt, das war der Lehrer, der ihm den Opa madig machen will – sinngemäß. Seitdem kämpft er gegen solche Lehrer, gegen so einen Unterricht, gegen den Antifaschismus und gegen die Zweite Republik. Mit sechs Jahren wird Strache ins Internat gesteckt – ein ziemlich strenges Regiment. Ich glaube, zu den Schulbrüdern. Das ist hart, und er beschreibt diese extreme Strenge inklusive Prügelstrafe. Aber, wie fasst Strache dieses Leben zusammen? Er wischt Mölzers Mitleid vom Tisch und sagt, was der Opa angeblich immer gesagt hat: „Was mich nicht umbringt, macht mich härter“. Mit vierzehn geht Strache schon in die Burschenschaft. Er ist auf der Suche nach Ersatzvätern und kommt zu dem Zahnarzt Helmut Günther, der ihn rekrutiert.

Ersterscheinung im Augustin 348, 24. 7. – 21. 8. 2013  

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