postheadericon Kaleidoskop des jüdischen Proletariats

Neues Sachbuch zu Ottakring und Hernals.

Das neu erschienene Buch über das jüdische Leben in der Wiener Vorstadt ist erstaunlich. Akribisch und fleißig haben die beiden Autorinnen wie in einem Kaleidoskop tausende bisher großteils unbekannte Einzelheiten, Daten und Fakten ausgeforscht und zusammengetragen. Wer mit jüdischen Menschen bisher hauptsächlich das Bürgertum verband, wird überrascht sein, wie viele jüdische Kommunist_innen und Sozialist_innen eifrig versuchten, die Lebensumstände in ihrem Arbeiterbezirk zu verändern und ihr Umfeld bzw. die Wiener Gesellschaft hin zum Positiven zu beeinflussen.

Das 1905 eröffnete Volksheim Ottakring war z. B. die erste Abendvolkshochschule Europas und stand mit vielen Dozenten und Referenten jüdischer Herkunft im Gegensatz zur reaktionären Universität. Den Autorinnen geht es in ihren Fundstücken um die soziale Frage, um Armut und Arbeitslosigkeit, um miese Arbeitsverhältnisse und den Widerstand dagegen. Um Delogierungen, wie die von Emil Reich, der 1892 mit seinem Buch „Die bürgerliche Kunst und die besitzlosen Volksklassen“ zum Begründer der österreichischen Kunstsoziologie wurde, und kurz vor seiner von den NS-Behörden angeordneten Zwangsräumung verstarb. Kritisieren könnte man nur, dass sich das Buch in der Fülle der Daten manchmal schlecht liest. Dafür ist es an anderen Stellen aber spannend wie ein Krimi. Es neigt erfreulicherweise stilistisch mehr dem Journalismus, als der trockenen Wissenschaft zu. All diese Daten und Fakten, diese tausend Facetten proletarischen jüdischen Lebens, schreien nach einem weiteren  Text. Zeitzeug_innen wie Walter Arlen oder Frederic Morton kamen zur Präsentation ins Bezirksamt in Hernals am Elterleinplatz. Hier war u. a. von Mundraub aus Hunger, Schnitzelreste betteln und dem Rabbiner Julius Maxbach zu hören, der den Ottakringer Huber Tempel in seinen Predigten in New York erwähnte.

Evelyn Adunka, Gabriele Anderl, Jüdisches Leben in der Vorstadt Ottakring und Hernals, Mandelbaum Verlag 2013

Erschienen im Augustin, 13. 11. – 26. 11. 2013 

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