postheadericon Zahra Mani: Das Ungespielte spielt mit

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Freitag abends bei der orthodoxen Großmutter Shabbat feiern, am Sonntag in die Moschee – die Musikerin Zahra Mani erforschte familiäre Traditionen, viele Instrumente und einige Musikrichtungen, bevor sie eigene Wege fand, Klangräume für ungespielte Klänge zu erschaffen. Musikalische Schimmer, die flimmern…

 

Was für Musik kanntest du von Zuhause?

Meine orthodox erzogene Londoner Mutter spielte gerne Brahms am Klavier. Wir hörten klassische Musik, nie Klezmer, viele jüdische Violonisten. Ich besuchte schon als Kind Konzerte von Isaak Stern und Itzhak Perlman. Diese Musiksprache voll Tiefgang und Anflügen von Wehmut spricht mich sehr an. Ich mochte Brahms und Chopin mit ihren schwelgerischen Zwischentönen sehr gerne. Wir hatten ein Klavier zu Hause und als kleines Kind improvisiert man völlig frei. Ich habe Gewitter nachgespielt. Das sind meine ersten Erinnerungen. In den tiefen Oktaven den Donner und ganz hoch oben Regen. Diesen Zugang zur Natur habe ich immer schon gehabt. Ab sieben Jahren spielte ich Geige im Schulorchester, dann Gitarre, Bassgitarre. Mit dem Kontrabass, einem Instrument, das ich erst mit fünfzehn Jahren klassisch gelernt habe, machte ich die Riesenentdeckung einer Freiheit in der Improvisation. Mein pakistanischer Vater ist gar nicht musikalisch. Mit zehn Jahren nach der Schule um 17 Uhr nach Wembley ins Bhavan, einer Schule für indische klassische Musik,   zu fahren, um Tabla-Stunden zu bekommen, war eine ziemlicher Aufwand, aber ich wollte wirklich einen Weg hinein finden. Nach der Schule war ich ein Jahr in Pakistan bei einem Freund, der selber Musikinstrumente entwickelte. Raza Kazim baut auch eigene Lautsprecher und ist jetzt schon über achtzig Jahre alt. Er war in Pakistan unter Mohammed Zia-ul-Haq (Anm. Militärdiktator 1977-1988) lange im Gefängnis und wurde gefoltert. Kazim gab mir die Möglichkeit, in Lahore bei Ashraf Sharif Khan anzufangen, Sitar zu lernen. Ein Jahr bedeutet in der indischen klassischen Musik wirklich nur ein Kratzen an der Oberfläche einer riesigen Kultur und Tradition, aber es war sicher sehr prägsam. Es gibt keine Noten, man lernt mit den Ohren, man spielt dem Meister nach, dann entwickelt man ein Verständnis für die Ragas und lernt innerhalb von sehr festen Systemen zu improvisieren. Eine unglaubliche Musik, die machte in meinem Hören sehr viel auf.

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Wie bist du von diesen analogen Instrumenten aus Ost und West zur Elektronik gekommen?

Mia Zabelka machte 2001 mit Franz Hautzinger einen Improvisationskurs im Wiener Konservatorium. Ich borgte mir einen Kontrabass aus, und wir spielten ein Konzert. Mia und ich gründeten zusammen das Ensemble One Night Band. Irgendwann brauchte Mia Klänge für ein Live-Konzert, und ich fing an, meine Feldaufnahmen von Naturgeräuschen für Konzerte zu verwenden. Es ist essenziell, dass ich nur meine eigenen Aufnahmen verwende. Ich benutze auch meine Instrumente, aber hauptsächlich Geräusche von Maschinen im Straßenverkehr, dem Meer, Bäume, Wind, alles mögliche. Ich komponiere diese Soundscapes und nehme dann ganz kleine Samples, loope und zu verzerre sie. In Upstate New York führte ich meine Elektronik weiter, denn Stefan Moore baute für mich ein Max/MSP Matrix und Effect Patch. Über die Matrix kannst du acht Kanäle erzeugen und Klangräume schaffen. Wie man die Lautsprecher aufstellt, schafft und definiert Räume, die viel größer oder kleiner wirken als sie eigentlich sind. Eine Zeitlang spielte ich meine Klänge aus dem Laptop, aber das war mir zu wenig haptisch und dann arbeitete ich mit dem Keyboard, um die Haptik wieder herzustellen, und Bassgitarre damit zu verbinden. Das ist meine Klangwelt. Der Begriff Elektronik ist mir nicht ganz genehm, weil meine Musik sehr organisch ist. Es geht um organische Klänge, Geräusche werden digital aufgenommen, die natürlich elektrifiziert werden, aber das was herauskommt, ist im Endeffekt sehr organisch.

 

Siehst du einen Zusammenhang zwischen deiner Musik und deiner Herkunft? Deine Urgroßeltern flüchteten noch Anfang des letzten Jahrhunderts vor Pogromen in Litauen…. Ist deine Kunst, provokant gefragt, Eskapismus?

Nein, überhaupt nicht. Mein bewusstes Hören ist vielmehr ein Weg, präsenter im Moment zu sein. Listening ist ein absolut inhärenter Part vom Musikmachen. Es geht um das Ungespielte, das absolut immer mitspielt. Vielleicht versuche ich das Ungespielte ein bisschen mitzugestalten, obwohl es immer um Geräusche von außen geht. Es sind gefundene Klänge. Stimmen nehme ich auch, aus einem Ambiente.

 

So ghostlymäßig? Geister?

Manchmal sind es ganz krasse Gesänge, die man mag und mitschneidet. Ich spiele die gleichen Klänge nie ein zweites Mal hintereinander, es ist immer ein Fluss. Ich besitze ein Riesenarchiv von Aufnahmen. Jedes Stück, das ich mache, ist wie ein Instrumentenbau, ein Synthesizer, den ich mir zusammenkomponiere. Jede Taste triggert einen Klang von mir. Nicht künstlich oder einen Sinuston, sondern etwas aus der Welt – etwas Gehörtes. Das Gehörte wird das Gespielte und wieder gehört – so eine Art Kreislauf. Das ist kein Eskapismus, sondern ich sehe das eher als tieferes Sein in meiner Umgebung. Das ist eher das Gegenteil von Eskapisms, es ist ein Bewusstsein im Alltag, darauf wie ich höre, was ich höre.

 

Siehst du einen Zusammenhang zu deinen Eltern und ihrer Geschichte? Das Ungespielte hören zu wollen, klingt für mich schon ein bisschen wie Zweite Generation. Dass die Kinder etwas versuchen zu verstehen, das sie nicht ganz einfangen können.

Ich glaube, das machen alle Menschen. Ich beziehe Klänge sehr auf mich. Ich mache sehr viel über meine konkretisierten Abstraktionen. Auch ich sehe mich als solche. Ich bin sehr abstrakt, ich bin nicht gut im Zusammenfassen von Sachen oder in einer schwarzweißen Beurteilung. Das hat sehr wohl mit meiner Herkunft zu tun und zwar von beiden Seiten. Ich bin ein bisschen englisch, ein bisschen pakistanisch, ein bisschen jüdisch, ein bisschen mehr muslimisch, ein bisschen Londoner und ein Landmensch – ich verbrachte die Sommer in den Bergen Pakistans. Ich bin immer zu Hause und gleichzeitig fremd. Ich bin nicht »von wo«, ich habe keinen Schimmer von einem konkreten Ort oder einer konkreten Herkunft. Ich bin aber sehr glücklich damit.

 

Bedeuten die Klänge verschiedene Facetten? Ein Mosaik?

Ein Mosaik ist zu einfach, zu geregelt, Klänge sind Wellen. Wellen fließen. Es gibt Richtungen. Ein Mosaik ist nicht haptisch und nur minimal dreidimensional (lacht). Und das, was ich klanglich mache, hat viel mit Dimensionalitäten zu tun. Es gibt Zugänge zu anderen Räumlichkeiten durch verschiedene Schichten und Elemente und dazwischen entsteht etwas Neues. Das kannst du auch mit Geigenspiel oder Stimmen, mit Oberton-Gesang, erreichen. Mit dem Kontrabass spiele ich sehr bewusst und genau mit diesen Zwischentönen. Ich mag liminale Bereiche sehr gerne. Liminal bedeutet an der Grenze. Auch von den kleinsten Sachen. Membranenmäßig. Sie beinhalteten Übergänge, Grenzbereiche.

 

Wie kannst du deine Klänge in deiner Band Medusas Bed einbringen?

Wir sind alle sehr vielfältig. In allen Bands sind die schönsten Momente im Spiel dann, wenn man nicht weiß, wer welche Klänge erzeugt. Und da fliegts, in dem Moment geht es wirklich auf. Wenn gemeinsam eine Klangwelt erzeugt wird, dann wird es magisch, – dann flimmert etwas anderes mit. Denn was ist die Essenz von Kunst, wo ist sie greifbar? Woraus besteht Musik? Ein Komponist schreibt ein Stück, Stücke aber existieren nur durch Ideen, sie bleiben ungreifbar, sind keine Artefakte. Sind sie nicht wie Wesen?

 

FOTOS: David Visnjic

Ersterscheinung im skug,  Ausgabe 101, 1-3/2015

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