postheadericon Anselm Kiefer: „Ruinen sind für mich ein Normalzustand“

Der Maler Anselm Kiefer wuchs direkt nach dem Zweiten Weltkrieg mit Ruinen und Trümmern im Blickfeld auf: „Das ist ein Zustand der Transition, des Umschwungs, der Veränderung. Mit den Steinen, die in den großen Städten von den sogenannten Trümmerfrauen – heute fast schon ein mythologischer Begriff – gereinigt wurden, baute ich Häuser.“ Ein überaus dichter Interviewband ist Klaus Dermutz da gelungen, voll lyrischer Fragen und eigener Überlegungen nach der Gnosis, der Mystik und Kosmogonie Isaak Lurians und dem Einfluss von Gedichten Ingeborg Bachmanns und Paul Celans auf Kiefers Kunst. Es zeigt sich, wie viel mehr ein Interviewer erreichen kann, wie tief schöpfen, der sich auf einen Künstler spezialisiert, ihm in seinen Werken folgt.


„Steirischer Diwan“ heißt das Antiquariat hinter dem Naturhistorischen Museum in der Wiener Bellariastraße, in der der Bruder des Autors Kunstbände von Kiefer ausstellt. Und es gibt wirklich einen Diwan dort, der aber keine Benützungsspuren zeigt. Hier kann man historische Tageszeitungen oder Zirbenschnaps aus Spielberg bestellen.
Der Künstler ist für Kiefer ein „fortdauernder Untergeher. Er erreicht nie das, was er möchte. Er kann immer nur um den Krater herum gehen, und wenn er ihm zu nahe kommt, dann fällt er hinein wie Empedokles“. Anscheinend ist er schon ein paar Mal hinein geplumpst, in den Kunst-Krater.
„Nach Walter Benjamin werden Fragmente der Vergangenheit in die Jetztzeit gesprengt und evozieren dadurch die Erinnerung an einen Untergang oder Zerstörung“, bemerkt Dermutz. „Ja, aber nicht als Gesamtes – als Einbrüche“, antwortet Kiefer, der sich ausführlich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigte. Ein Buch voller Sprachbilder – vom Krieg, der sich als Frieden tarnt, vom Dornbusch, der brennt, aber nicht verbrennt, von Jahwe als Feuersäule in der Wüste, von den Feuerstürmen des Zweiten Weltkrieges – das mit den Bildern von Anselm Kiefer beinahe mithalten kann!

Anselm Kiefer
„Die Kunst geht knapp nicht unter“
Im Gespräch mit Klaus Dermutz
Suhrkamp, Berlin 2010
265 S., 26,60 Euro

Ersterscheinung im AUGUSTIN Nr. 313, 25. 1. – 7. 2. 2012

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