postheadericon Keorapetse Kgositsile: Kein Wort für Staatsbürger

Im heutigen Südafrika, in der Hinterfragung des politischen Selbstverständnisses und der Absage an politisches Kunstschaffen, mag der Dichter Keorapetse William Kgositsile, mit seinem Kulturbegriff altmodisch erscheinen, doch der über 70jährige vermittelt nach wie vor Begeisterung für die Integration in die Gesellschaft – für alle Moagis.

Warum beschäftigt sich Ihre Lyrik so gerne mit dem Thema Flucht?

Solange überall auf der ganzen Welt Menschen dazu gezwungen sind, Grenzen zu überqueren, um vor der Folter wegzulaufen, bedeutet das, dass wir ein Problem haben und eine Intervention machen müssen. Ich glaube nicht, dass ein Gedicht allein eine Intervention ausmacht, aber auf der Ebene des Appells an den Teil der Menschheit, der noch immer über ein Gewissen verfügt, kann ein Gedicht der Auslöser sein, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen.

Wie ist die Lage der Flüchtlinge innerhalb Südafrikas?

Auf Regierungsebene werden Diskussionen geführt unseren Flüchtlingen, u.a. aus Ruanda und dem Kongo, finanzielle und soziale Unterstützung zu geben, um die Integration zu fördern. Denn besonders die kleinbürgerliche Elite in städtischen Gebieten pflegt rassistische Einstellungen gegen Ausländer, aber vor allem gegen afrikanische Mitmenschen und nicht gegen Europäer oder Asiaten. Die Regierung muss diese Situation verbessern, denn sonst wird alles, was in der Gesellschaft schief läuft, den Ausländern auf die Köpfe fallen. Dabei gibt es in Setswana – wie in anderen afrikanischen Sprachen auch – kein Wort für Staatsbürger. Wir sprechen vom Moagi, vom Bewohner. Die Berliner Konferenz schuf entsprechend den verschiedenen europäischen Interessen künstliche Grenzen in Afrika. Sollen wir jetzt im unabhängigen Südafrika die Meinung vertreten, dass die Berliner Konferenz recht hatte und ihre Grenzziehungen korrekt waren, weil Europa damals beschloss, dass und nach welchen Kriterien wir verschieden sind? Es gibt leider eine Tendenz in Südafrika, dass die Leute die Arme verschränken und auf die Verantwortung der Regierung warten – dabei schafft die Regierung bloß einen Raum, innerhalb dessen wir selbst handeln müssen. Die Leute vom Land treffen dich auf der menschlichen Ebene, egal, welche Grenze du überquert hast. Wenn du ein begehrenswertes Individuum bist, wirst du in der Gemeinde willkommen sein, wenn du sozial  verroht bist, wirst du zurück gewiesen werden, egal wo du geboren bist.

Sie waren doch selbst über Jahrzehnte ein Flüchtling vor dem Regime?

Ich musste Südafrika 1961 verlassen und ging über Tansania, das in der Zeit vor der Vereinigung mit Sansibar Tanganika hieß, in die USA. Als Teil der Befreiungsbewegung nahm ich auch dort an den Kämpfen teil und traf Leute wie Malcolm X, aber auch Musiker wie John Coltrane, Pharoah Sanders, Billie Holiday, Cassandra Wilson, Nina Simon. Die Musik, vor allem Jazz, hat meine Lyrik stark beeinflusst. Wir mit unserem starken Gemeinschaftssinn glaubten damals, dass jemand, der nicht Teil der Befreiungsbewegung ist, niemals etwas von Substanz oder Einfluss schreiben könnte. Denn was würde ihn inspirieren oder seine Vision als Künstler beeinflussen? Wenn wir Kultur als etwas verstehen, dass das gesamte Gewebe der Gesellschaft zusammen hält, hat sich das grundlegende Wesen der Kunst und das Verlangen der Leute niemals verändert: Kultur zielt auf Erfüllung im Leben und die Integration in die Gesellschaft. Der ANC hatte seine beste Zeit, als er gegen die imperialistische, kulturelle Unterdrückung protestierte. Aber gegen Apartheid zu sein, bedeutet noch nicht zu wissen, wofür man ist, welche kulturellen Alternativen man entwickeln könnte. 1976 verfügte der ANC über ein befreites Gebiet in Tansania, wo wir mit einer Schule, einer Möbelfabrik, Landwirtschaft etc. in einem Mikrokosmos zeigen konnten, was wir uns für ein befreites Südafrika wünschen. Auch im Exil war ich eigentlich immer auf dem Rückweg nach Südafrika. Vom Tod meiner Mutter habe ich erst sechs Jahre nach unserem letzten Telefonat erfahren. 1968 bat sie mich nicht mehr anzurufen, da sie innerhalb von Minuten von der Sicherheitspolizei belästigt wurde. Ein Jahr später starb sie. Als Mandela aus dem Gefängnis kam, ging ich 1991 in den Untergrund. Die Polizei verfolgte meinen 17jährigen Sohn, bis ich endlich über Mandelas Vermittlung meinen Pass erhielt und legal wurde. Heute bin ich Berater des Kulturministers. Eine Gesellschaft zu transformieren, bedeutet wirklich alles zu verändern, jeden Aspekt menschlicher Aktivität. Man kann nicht gegen die – sich nur langsam von Generation zu Generation ändernden – Gefühle der Menschen regieren. Wenn meine Lyrik erfolgreich ist, ist das ein Beweis für ein Leben in kreativer Aktivität für die Veränderung. Kreativität bedeutet Veränderung und die Kreativität lebt im kollektiven Genius der Leute, schon bevor ein Gedicht oder ein Film entsteht.

Übersetzung aus dem Englischen

Erschienen im Augustin

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