postheadericon Dabernig: Die Leere rocken

Der Bildhauer, Filmemacher und multimediale Künstler Josef Dabernig im mumok: Nach Jahrzehnten voll komplizierter Zahlenkunst drehte Josef Dabernig Filme mit sehr persönlichem Zugang. Humor, sagt er, sei ein „Selbstbehauptungs-Vehikel“ in disziplinierenden Strukturen.

Josef Dabernig

Als Kärntnerin konnte ich mit dem Titel Ihrer Ausstellung „Rock The Void“, also „Rock’ die Leere“, sehr viel anfangen. Als Kinder mussten wir immer eine gewisse Leere füllen, auf der Sattnitz im Anblick der Karawanken. Sind Sie von einem Dorf?

So wie ich immer versuche, Filmtitel zu finden, die Assoziationen wecken und Räume öffnen, aber nichts genau benennen, fiel mir dieser Titel ein. „Rock The Void“ ist eigentlich ein Widerspruchs-Konstrukt, denn etwas rocken bedeutet, etwas zu bewegen. „Die Leere rocken“ geht nicht, aber ich arbeite eben in Gegensätzen und Dialektiken. Mein Herkunftsort Kötschach-Mauthen ist eine Fremdenverkehrsgemeinde und hat eine dörfliche Struktur. Mein Vater war Handwerker, Sattler und Tapezierer, seine Schwester Organistin in der Kirche. Der Ort war schon ein intakter sozialer Raum, aber sehr stark strukturiert. Wogegen ich mich stellen und deswegen schon mit zehn Jahren weit weg wollte, waren diese speziellen Strukturen. Disziplinierungsmechanismen zum Beispiel, im privaten und im öffentlichen Rahmen.

Wie drücken sich Leere und Bewegung in Ihren Filmen aus?

Bis zum schweren Unfall meines Bruders 1994 habe ich mir künstlerisch alles verbeten, was private, familiäre Anbindung an meine Arbeit wäre. Dann ist das aufgebrochen und jetzt bediene ich mich dieser Dinge, wie im Film „Hotel Roccalba“, in dem meine Eltern auftreten, der Vater hackt Holz, die Organistin schaut beim Radl-Reparieren zu. Der Autofilm „Lancia Thema“ ist ein Vermächtnis an unzählige Italienreisen, bei denen ich mir manchmal dachte, wenn das so weiter geht, werde ich mit dem Auto an einer Wand picken, denn ich fuhr manchmal nächtelang durch und habe nicht genug kriegen können. Heute mache und schaffe ich das nicht mehr, solcherart Grenzsituationen zu erleben. Aber das steckt auch hinter diesen Film-Bildern, eine gewisse Unheimlichkeit ist mir durchaus recht.

Vorher arbeiteten Sie mit Zahlen und Listen.  

Durch meine Tankstellenlisten sind z. B. viele Orte und Orts-Bilder vorhanden, aber es gibt keine Narration dazu. Die muss man sich selber bilden. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, es ist einfach eine Struktur. Namen wie Dravograd kommen oft vor, die waren für mich symbolisch eine Slawisierung. Dravograd steht in der Autoliste, weil es sich in den 90er Jahren gelohnt hat, über der Grenze zu tanken.

Ihre Filme zeigen für mich Kärntner Humor, spröde, ganz eigen, und dass Humor ein Prozess ist.

In der Filmgeschichte gibt es die Form des Humors, sehr stark auch im Osten. Humor ist ein Werkzeug, um sich innerhalb von schwierigen Strukturen zurecht zu finden. Der Humor ist so ein Selbstbehauptungs-Vehikel. Mein Vater, der dem Krieg psychisch nicht gewachsen war, ist, vielleicht wegen seiner Kriegs-Traumata der witzigste Mensch der Welt. Er sublimierte seine Wutanfälle gerne mit Humor. Er hat seine Parameter haben müssen und die Familie gab ihm Struktur und Zusammenhalt. Meine Mutter wiederum konnte dem Mangel mit Würde und Wärme begegnen.

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Hanne Darboven, eine deutsche Künstlerin, machte auch Zahlenraster. In der Kinder-Trauma-Forschung gibt es viel Literatur zum Thema Zahlentrauma, man rechnet sich Sachen aus, gegen die Furcht, zählt die Schritte etc.

Die Zahlen stehen nach wie vor hinter der Arbeit, weil die einfach in mich eingeschrieben sind, als Raster. Für den letzten Film „River Plate“, im Kanaltal gedreht, suchte ich mir sechs Körperteile aus, und deklinierte die durch sechs Personen. Jeder Block hat einen Kameraschwenk, der auf die Landschaft öffnet, aber im Grunde ist das Drehbuch eine Liste. Der Film ist strukturell gedacht. Ich bilde mir ein, für die Rezipientin oder den Rezipienten entsteht eine Art Wiedererkennungseffekt, wenn eine Mitteilung in Strukturen daher kommt. Weil wir ja von Strukturen geprägt sind – das wäre meine Theorie (lacht, weil die Interviewerin den Kopf schüttelt). Ihre nicht?

Nein, von Bildern.

Bilder? Aber Strukturen sind natürlich spannender, weil die auch Mikrokosmos, Zellen, Plankton und Makrokosmos einschließen. Ich finde, Filme wie „Hotel Roccalba“ oder „River Plate“ bedienen sich jetzt zwar auffälliger und spektakulärer Bilder, wie von den Brücken im Kanaltal, aber letzthin ist es die Struktur, die das Ganze von der konkreten auf eine allgemeinere Ebene verschiebt.

Was bedeutet „Struktur“ genauer? Es klingt so wie ein Unterbegriff von Gesellschaft.

Ich finde, dass die Filme ein gesellschaftliches Spiel vorgeben, hinter dem Ordnungsschemata stehen. Akteure treten auf, ich selber, aber im Endeffekt stecken immer Strukturen dahinter. Ich arbeite primär an der Struktur. Es gibt auch Rhythmen, das Wort Raster hat so etwas Emblematisches. Die Struktur ist ein Ordnungsprinzip, das sich über einen Film hin erstreckt. Sie ergibt ein Modell, jenseits von der Inhaltlichkeit. Als Kind Klavier spielen zu lernen, brachte mir im Nachhinein sehr viel, weil ich komplexe Strukturen, Kantaten, Fugen aufgenommen habe und nachvollziehen konnte und das sind – Musik ist ja etwas Abstraktes – für mich dann Prinzipien, die ich hinter den Filmen präsent sehe. Ich denke, es funktioniert bei der Betrachtung so, dass man etwas als sein Eigen wieder erkennt, das sein Eigen ist, nämlich so einen Minikosmos. Als Bild ausgedrückt.

Sie sind ja eigentlich ein Bildhauer?

Ich habe bei Joannis Avramidis Bildhauerei studiert, figurative Plastik. Avramidis war als Kriegsflüchtling Wotrubas Schüler. Wotruba installierte ihn dann als seinen Partner an der Kunstakademie im Prater. Mich interesssierte die Auseinandersetzung mit der dritten Dimension auf zeichnerische Art und Weise, ich wollte nicht herumbitzeln mit Ton, sondern alles nur auf Papier haben. Mein Vater war zwar Tapezierer, aber ich habe nie etwas angreifen dürfen. Meine Zeichnungen waren bis zur Nicht-mehr-Nachvollziehbarkeit kompliziert. Ich verwendete die Pythagoras Formel, um Mutationen von Formverläufen zu machen, ich vervielfachte Formenverläufe, verdreifachte, versechsfachte sie und habe als Prinzip der Mutation die Pythagorasgleichung herangezogen. Eine Zeitlang machte ich das so kompliziert, dass es für mich selber schwierig war, das nachzuvollziehen (lacht).

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Hanne Darboven hat auch Häuser gebaut, Orden und Kinderspielzeug gesammelt.

Roman Opalka, ein polnischer Künstler, der in Frankreich lebte, schrieb sein Leben lang die Zahlen fort, er malte täglich die Folgezahl, auf grauer Leinwand mit weißer Schrift. In Audio-Produktionen spricht er sich diese Zahlen auf Polnisch vor. Ich wechselte dann zunehmend zwischen den Medien, der Markt war ja auch nicht so, dass man mir meine Kunst aus der Hand gerissen hätte.

Was gibt Ihnen der leere Raum im mumok (Museum moderner Kunst) mit den weißen Wänden?

Der „White Cube“ ist ein minimales Konstrukt, der auch die Aura bietet, ein Kunstwerk autonom wahrzunehmen. Meine Filme funktionieren in der „Blackbox“ am besten, einem dunklen Raum, in dem die Konzentration ausschließlich auf das bewegte Bild möglich ist. In der Interaktion mit dem Zuschauer sind beide Erlebniswelten, Konzentrationsräume.

Diese systematische, minimalistische Architektur in der Ausstellung haben Sie selber ausgerechnet?

Das ist ist keine „Kunst“ gewesen. Die Folge von je drei Räumen ist so konzipiert, dass sich die Räume verkleinern. Die Höhen verjüngen sich, ein Irritationspiel mit der Perspektive. Ich habe mitten in die Stirnwand einen Raster gesetzt, der die ganze Wand füllt. Wenn ich aber in die Ausstellung gehe, sehe ich eine verzogene Gasse. Die Architektur-Zeichnungen waren das erste, was ich für die Ausstellung gemacht habe. Ich spiele mit dem Prinzip der Wiederholung, aber unterlaufe es auch. Meine Prinzipien, die ich in Filmen hinter Gesichtern und Figuren anwende, legte ich im mumok auf die Raumkonstellation um. Ich habe mich sozusagen dem Raum gegenüber bildhauerisch, wenn nicht auch filmisch, verhalten.

Sind ihre Film-Figuren auch bildhauermäßig überzogen?

In St. Petersburg wird Ende August im Rahmen der Manifesta ein Filmprogramm von mir gezeigt und dem habe ich den Titel „Mute Society/Stumme Gesellschaft“ gegeben.

 

Fotos: Christof Moderbacher

Erschienen im Augustin, 20. 8. – 2. 9. 2014

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