postheadericon Der Sound der Heiligengeistschlucht

900sekundenDen Berg hinauflaufen, um NS-Flüchtlingen nachzuspüren: Der Filmemacher Gregor Franz Waltl wünscht sich eine gemeinsame Aktion aller NachbarInnen an der steirisch-slowenischen Grenze, um sich der jüdischen Flüchtlinge und der PartisanInnen zu erinnern, die die Sveti Duh- (Heiligengeist-) Schlucht benutzten, um den Grenzkamm zu erreichen. Mit seiner Kopf-Kamera rannte er den Berg hinauf. Kerstin Kellermann über eine ungewöhnliche erinnerungskulturelle Anstrengung.

Sich Gefühle zu imaginieren bzw. bei sich selbst welche zu erzeugen, indem man eine Schlucht hinauf rennt, ist eine lustige Strategie, um mit dem Nationalsozialismus umzugehen. So geschehen in der Steiermark, wo der Filmemacher Gregor Waltl den Sveti Duh-Klamm hinauf lief, um körperlich und geistig mitzuerleben, was es für die Flüchtlinge in der NS-Zeit hieß, voller Angst diesen Berg zur Grenze zu erklimmen. Waltl überlegte sich Hilfsmittel, um dem nachzuspüren, was jüdische Flüchtlinge und ihre Schlepper optisch mitkriegten; in seinem Film sieht man durch die am Kopf befestigte Kamera sehr schön, dass die Gegend völlig unwirklich wirkt, wenn man in Eile und voller Angst von Stein zu Stein springt. Auch heute ist der markierte Klammwanderweg südlich von Leutschach, in der Gemeinde Schlossberg für Ungeübte beschwerlich – und oft glitschig. Unscharfe Sträucher, Felsenplatten, schwarz-weiß verwischte Bilder – viele JüdInnen konnten über den Sveti Duh-Klamm gerettet werden. Im Film hört man laute Geräusche, Stimmen, unklare Töne. Gregor Waltl erklärte beim Klangfest im Klanghaus Untergreith ganz genau, was er vor hatte und was er machte, nämlich seine eigene Person als Experimentierfeld zu verwenden. Er sagt dem örtlichen Publikum sogar, wie lange die Tortur dauert, nämlich die letzten 15 Minuten von beinahe einer Stunde Hinaufrennerei, bevor er seinen Film auf die Markise projiziert. Der Sound klingt wie Schläge, innere Schläge, manchmal wie Schüsse – aber er ist nicht extrem laut oder erschreckend. Geröll, Felsen, Wald, schwarze Bäume, innere Stimmen sind zu hören. Walzl montierte Gedichte des wegen seiner völkischen Ideologie umstrittenen steirischen Dichters Hans Klöpfer in seinen Film hinein, Gedichte wie „Der gefangene Russe“, die er in der Schule lernen musste, wie viele andere Kinder auch. Lokale Politiker benennen Wanderwege lieber nach Klöpfer als mit Namen der Flüchtenden oder der WiderstandskämpferInnen. Je weiter nach oben der Flüchtende kommt, desto mehr strahlt die Sonne durch die Baumstämme. Es wird heller. Der Sound klingt ein bißchen nach der slowenischen Band „Laibach“. Man hört lautes Stöhnen und Keuchen. Verschwommene Schatten. Und aus.

Keinen „Liaberen“ als Hitler

„Ich bin kein Historiker, ich möchte nur verstehen und erkennen können“, resümiert Gregor Waltl, der auch Kabarettist, Radio- und Fernsehmacher ist. Waltl lief am 5. Mai quasi zur Ehrung des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch den Klamm, und seine Soundinstallation nennt sich „900 Southern Seconds“, frei nach Andy Warhols Paraphrase „In the future everyone will be famous for 15 minutes“. Dazu las er Ausschnitte Klöpferscher Gedichte, übersteuert und mit einem überaltetem Equipment. 1938 verfasste Hans Klöpfer ein mundartliches Hitler-Gedicht: „Schreibm tuat er si Hitler, / und uns so guat gsinnt, / wia ma weit in der Welt / net an Liabern wo findt.“ Über Leutschach, slowenisch Lučane, direkt an der Grenze zu Jugoslawien hat sich ab 1941 ein gut organisiertes Schlepperwesen unter der Leitung von Josef Schleich entwickelt. Die ansässige Bevölkerung half mit. Die dicht bewaldeten, oft durch enge Schluchten durchschnittenen Hügel an der Grenze bildeten den Ausgangspunkt zu einer Flucht zumindest bis Zagreb. Die gleichen Wege, Schluchten und Wälder wurden vor allem in den letzten Kriegsmonaten auch von Partisanen, Widerstandskämpfern, SS-Truppen oder alliierten Soldaten, wie auch der einheimischen Bevölkerung benutzt: zum Schmuggeln, zum Fliehen, leider auch für manche Grausamkeiten. Einer dieser Wege war die Heiligengeistklamm nach Sveti Duh na Ostrem Vrhu. In der Nähe liegt auch ein Partisanenfeldspital aus der NS-Zeit, dessen Gedenktafeln bald nicht mehr zu erkennen sind. Der Partisanen-Bunker liegt drei bis vier Meter unter der Erde und es gibt noch das Schild „Bolnisnica“ (Krankenhaus). Der Filmemacher erreichte sein Ziel viel schneller als geplant, das imaginierte Fluchtgefühl machte ihm Beine, oben am Heiligenkreuz-Kirchlein kriegte er dann einen Schock: „Völlig ausgepumpt fand ich dort hinter der Kirche einen mit Gesicht nach unten liegenden alten Mann, der sich nach anfänglichem Schrecken als betender Pfarrer aus Eibiswald entpuppte.“

waltl

„Was sollte zur Bearbeitung der NS-Geschichte Ihrer Meinung nach noch geschehen?“, frage ich den eifrigen Waltl. Er überlegt kurz. „Ein Zentrum der gemeinschaftlichen Bemühung. Unser Gebiet liegt direkt an der slowenischen Grenze. Es gibt die gemeinschaftliche Pfarre, doch trotz grüner Grenze und Europäischer Union ist noch kein gemeinsamer Punkt entstanden, wo man sich und der gemeinsamen NS-Geschichte auf Augenhöhe begegnen kann.“ Das Wort „Punkt“ betont er und es klingt wirklich sehr punktuell, sein Programm. Ein Ausgangspunkt? „Was alles in den Kriegswirren passiert ist, ist nicht aufgearbeitet bzw. nicht einmal besprochen. Hier im steirisch-slowenischen Grenzgebiet bekriegten sich Nachbarn. Deren Nachfahren leben nach wie vor neben- und miteinander und sollten ein gemeinsames Fest veranstalten und ein Mahnmal aufbauen. Die Botschaft des Festes sollte sein: Es ist vorbei! Wir sind Freunde!“

 

Ersterscheinung im Augustin, 27. 5. – 9. 6. 2015 

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