postheadericon Morzinplatz,1945: eine Zelle mit vierzig Frauen

Peter-SchwarzVon der Großmutter, die Fallschirmspringer versteckte, und zum Folteropfer der Gestapo wurde. Im Juni wurde das „Hotel Metropol“, ehemalige Gestapo-Zentrale, im Rahmen der Wiener Festwochen geschichtspolitisch durchleuchtet. Auch Jutta und Anna Vitek wurden am Morzinplatz von den Nazis gefangengehalten, weil sie feindlichen Fallschirmspringern Unterschlupf gewährt hatten. Ihr Sohn und Enkel Peter Schwarz erzählt erstmals öffentlich vom Widerstand seiner mutigen Verwandten. Kerstin Kellermann hat den Geschäftsführer des Psychosozialen Zentrums ESRA zum Gespräch getroffen.

„Eines Tages im April waren die Wachen im Gefangenenhaus Roßauer Lände weg! Niemand mehr da. Irgendwer sperrte dann die Zellen auf. Meine Mutter meinte zu ihrer Mutter, dass sie jetzt nicht gleich nach Hause gehen, sondern noch eine Bestätigung holen sollten. Also hat irgendwer, der noch dort war (lacht), eine Bestätigung gegeben“, erzählt Peter Schwarz über das Ende der Gestapohaft für seine Oma Anna Vitek und seine damals 19jährige Mutter Jutta. „Bereits vorher wurden Akten im Hofe verbrannt, die Gefangenen hörten Fliegerangriffe und Artillerie. Amerikanische Flieger sind bis in den Hof hineingeflogen, haben mit den Flügeln gewackelt, mit den Tragflächen gewunken und sind wieder aufgestiegen! Das müssen gewaltige Szenen gewesen sein. Die Häftlinge sind an den Fenstern gehangen und haben gebrüllt und gejubelt.“ Peter Schwarz selbst arbeitet als Geschäftführer bei ESRA, dem Psychosozialen Zentrum für Folterüberlebende und widmet sich seit fast zwei Jahrzehnten erfolgreich der schwierigen Aufgabe genügend finanzielle Mittel für Betreuung und Therapien für Überlebende der NS-Verfolgung und ihrer Kinder und auch für heutige Flüchtlinge aufzustellen. Wie kam denn seine kämpferische Oma als einzige aus ihrer Familie in den Widerstand? Nachfragen ergeben, dass ihr Bruder sehr jung im Ersten Weltkrieg fiel, was für die 1907 geborene Anna ein Schock gewesen sein muss.

 

Tröpfchenweise Widerstands-Geschichten

„Meine Oma ist Mitte der 20er-Jahre in Sandleiten in den neu errichteten Gemeindebau gezogen, mit ihrem Mann, der überhaupt nicht politisch war. Meine Großmutter war ursprünglich Sozialdemokratin und 1934 wechselte sie, enttäuscht über das Verhalten des Schutzbundes, zur KPÖ. In ihrer Wohnung in Sandleiten war ein Maschinengewehr des Schutzbundes versteckt und sie war sehr enttäuscht darüber, dass es niemand abgeholt hat, um zu kämpfen. Sie war sehr verärgert, weil sie ein Rückenleiden hatte und dann war die Amnestie und sie musste das Maschinengewehr selber in den Hof schleppen und auf den Haufen werfen.“ In der Familie wurden diese Erfahrungen nicht verheimlicht, aber auch nicht als Heldentaten erzählt. Sondern tröpfchenweise und als Bruchstücke.

Im Februar 1945 erfolgte die Verhaftung von Anna und Jutta Vitek in Sandleiten, denn sie hatten zwei Fallschirmspringern Obdach gegeben. Peter Schwarz stellte sich als Kind das Bild der Haft so vor: die Zelle mit den vierzig Frauen, voll gestopft mit Menschen. Seine Oma regte sich erfolgreich bei den Wachen auf, bis die Tochter zu ihr in die Zelle verlegt wurde. „Meine Oma wurde gefoltert. Sie wurde ‚gestreckt’ und man hat brennende Zigaretten auf ihrer Haut ausgedämpft“, sagt Schwarz. Jutta Vitek wurde nicht gefoltert, was diese auf ihr jugendliches Aussehen zurückführte. Sie wurde „mitgerissen und trug den Widerstand mit“ und wurde genauso im Hotel Metropol am Morzinplatz verhört. Die Verhaftung fand am 20. Februar 1945 statt.

„Diese Fallschirmspringer sind vermutlich in Wiener Neustadt abgesprungen und hatten als Anlaufadresse die Ein-Zimmer-Wohnung meiner Großmutter. Die Fallschirmspringer waren ‚umgedrehte’ Österreicher, die in der Kriegsgefangenschaft von der Sowjetunion umgedreht wurden und geschult für den Absprung über Österreich. Sie verbrachten mehrere Nächte in Sandleiten und besaßen ein Funkgerät, um nach Moskau zu funken. Eines Tages kommt meine Mutter von der Arbeit und sieht vor dem Haus eine schwarze Limousine. Meine Mutter wusste, was das bedeutet und wollte ihre Mutter nicht alleine lassen, hat es sich, während sie hinaufging, aber überlegt und ist an der Wohnung im ersten Stock vorbei gegangen. Aber der Mann, der neben dem Auto gestanden war, ist ihr gefolgt und rief: Frau Vitek, irren Sie sich nicht? Sie wohnen doch dort in der Wohnung. Also, das war das Ende.“ Später weinte Jutta Vitek (später verehelichte Schwarz) immer an den gleichen Stellen, wenn sie erzählte. „Man hat die Oma und die Fallschirmspringer quasi auf frischer Tat ertappt“, erzählt Peter Schwarz die Geschichte nach. „Das Funkgerät fand man sofort. Der eine hat ohne Widerstand aus dem Innenband seiner Kappe den Code herausgerückt. Was rückblickend dramatisch war, denn es gab eine eigene Abteilung der Gestapo in der Hasenauer Straße, die Spione wieder umdrehte und außerdem Funksprüche abgesetzt hat, um so zu tun, als ob die Spione hier aktiv wären. Und so hat man die nächsten in die Falle gelockt.“

 

Ersterscheinung im Augustin, 8. 7. – 4. 8. 2015

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