Artikel-Schlagworte: „Nationalsozialismus“
Täter-Handbuch über den Loibl
Zur Geschichte eines Mauthausen-Außenlagers.
Figuren über Figuren, Menschen über Unmenschen: Lagerältester wurde „der schöne Rudi“, ein „Berufsverbrecher“. „Er übte seinen Beruf unter dem Pseudonym Ludwig Druckner auch nach dem Kriege aus.“ SS-Untersturmfüher Karl Sachse, von den Franzosen „Toutoune“ (Wauwau) genannt, war ein schrecklicher Schläger. Baron Born, ein Großgrundbesitzer aus Trzic, war ein jugoslawischer Jude, der zum Katholizismus übergetreten war. Beamte und technisches Personal am Loiblpaß wohnten in seinen Gebäuden, Baron Born selbst starb im KZ. Wie konnte sich Buch-Autor Janko Tisler bloß alle diese Einzelheiten über alle diese Menschen merken?
Traumweltherrscher
Popkulturelle Fluchtlinien zum Thema Pogrom und Shoah.
Das Buch wirkt so, als ob ein paar Kapitel fehlen würden. Es ist viel zu dünn. Es fehlen praktisch noch zwei Drittel. Der deutsche Literaturwissenschaftler Jonas Engelmann trug in einem ersten Versuch Variationen von Fluchtlinien für und von jüdischen Menschen zusammen, die mit Hilfe der Popkultur den Mechanismen der Verfolgung entkommen möchten. Engelmann fand unter anderem literarische Strategien, die Shoah als „Teil der Struktur“ von Literatur in die Sprache einzubauen. So wechseln in „W oder die Kindheitserinnerungen“ von Georges Perec permanent die Erzählebenen. Es geht um eine Insel, auf der die gesellschaftliche Ordnung über Sport funktioniert. Mit Hilfe von Verschiebungen und Leerstellen weist das Buch über sich hinaus. Zum Beispiel auf den Roman „Anton Voyls Fortgang“ von Perec, der ohne den Buchstaben E auskommt, einem „Lipogramm-Roman“. Er überlebte in einem Kinderheim versteckt, seine Mutter starb in Auschwitz. Perec schrieb die Abwesenheit, die Vernichtung der europäischen Juden direkt in die Sprache als Abwesenheit ein. Fehlende Eeeeeeeeeeeeeeeeees. Millionen! Die Technik erinnert etwas an Marianne Fritz, die versuchte, dem Thema Krieg über Bild und Sprache gleichzeitig näherzukommen. Der „Lesefluss“ will sich nicht einstellen, „ich bin ganz nah am Tod, wo gischtfingrig nach mir grapscht“. Kein E.
Kriegsuntauglicher Max Beckmann
Wie den Tod, wie die Ermordung naher Angehöriger integrieren? Momentan würde man sich wünschen, dass viele Flüchtlinge offiziell kriegsuntauglich sein dürften, ähnlich dem Maler Max Beckmann im Ersten Weltkrieg.
Wie den Krieg und seine Zerstörungen integrieren? Wie den Glauben an die Menschheit wiederherstellen und trotz allem Freude am Leben fördern? „Mir ist ganz recht, dass Krieg ist. Meine Kunst kriegt hier zu fressen“, schrieb der Maler Max Beckmann über den Ersten Weltkrieg. Er hatte sich freiwillig als Sanitäter gemeldet, aber nach eineinhalb Jahren erlitt er einen geistigen und körperlichen Zusammenbruch und wurde kriegsuntauglich geschrieben. Beckmann wurde niedergebeugt vom Zusammenbruch seiner Gewissheiten. „Der Krieg zerstörte etwas in ihm, seine Unschuld vielleicht und mehrere Jahre sehen wir ihn bei dem verzweifelten Versuch sich selbst wieder zu finden. Das verlorene Selbst ist ein falsches, das unbewiesene Selbst“, schrieb die Schwester Wendy Beckett in dem Buch „Die Suche nach dem Ich“. „Seine Art, auf seinem Selbst herumzuharfen, alles am Krieg, außer seinen Farbvaleurs auszublenden, war in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, seine geistige Gesundheit zu bewahren. Hinter der tapferen Brutalität seiner Briefe lauert Angst von fast psychotischen Ausmaßen.“ Achtzig Selbstbildnisse mit viel Schwarz sind die Folge.
Triumphale Behauptung von Normalität
Die Fluchtgeschichte des Hans Kohlseisen nach Irland.
„Und ich reise noch immer“: Das Buch fällt durch seine schöne, spannende Sprache auf und liest sich wie ein Abenteuer. Es sticht in seinen ungewöhnlichen Wendungen hervor unter den Büchern, die Fluchtgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus betreffen. Den „besonderen Tonfall, seine zuweilen kecken Formulierungen und seine bemerkenswerten Assoziationen“ wollte Margarete Affenzeller aufzeichnen, die sich als Ghostwriterin (Anm. komisches Wort für die Gespenster des Nationalsozialismus) für den als Jugendlichen nach England geschickten Hans Kohlseisen betätigte.
Liebe ist asozial
Einfach nur aus Spaß ein alter Artikel: Das Theaterstück „Liebe Macht Blind“ durchleuchtete das Schicksal von Frauen, die Liebesbriefe an Adolf Hitler schrieben. Nicht wenige von ihnen starben in Psychiatrie oder Arbeitslager.
Inbrünstig schmeißt sich Barbara Horvath als Rosa W. in ihre Rolle: Strahlende Augen, bebende Körpersprache, grünes Dirndl – die Österreicherin Rosa liebt „ihren Führer“ mit aller Leidenschaft, zu der sie fähig ist und das nicht nur platonisch. Horvath gelingt es, die Realitätsflucht und Ambivalenz im Leben einer „asozialen“ Frau überzeugend darzustellen, die verarmt, hungrig und völlig vereinsamt in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung ihre Tage verbringt und doch über ein enormes, widerständiges Potential verfügt, das leider in eine falsche Richtung verschwendet wird. Den Anstoß zu „Liebe Macht Blind“ im dietheater Konzerthaus gab ein Buch mit dem Titel „Liebesbriefe an Adolf Hitler – Briefe in den Tod“ (Hg. Helmut Ulshöfer, VAS-Verlag 1994). 1946 entdeckte W. C. Emker, ein US-amerikanischer Soldat, in der Berliner Reichskanzlei Hunderte Liebesbriefe an Adolf Hitler, die er seltsamerweise erst 1994 (!) dem Deutschen Helmut Ulshöfer zur Veröffentlichung übergab. In dieser Briefsammlung finden sich neben der Fanpost auch erschütternde Dokumente aus der Reichskanzlei, die den perfiden Umgang der Nationalsozialisten mit den Verfasserinnen der Liebesbriefe wirderspiegeln. Einige der Frauen landeten aufgrund ihrer Briefe in „Euthanasieprogrammen“ des Dritten Reiches. Sie galten als auffällig und dem „Größenwahn“ nahe.