postheadericon Liebe ist asozial

Einfach nur aus Spaß ein alter Artikel: Das Theaterstück „Liebe Macht Blind“ durchleuchtete das Schicksal von Frauen, die Liebesbriefe an Adolf Hitler schrieben. Nicht wenige von ihnen starben in Psychiatrie oder Arbeitslager.

 

Inbrünstig schmeißt sich Barbara Horvath als Rosa W. in ihre Rolle: Strahlende Augen, bebende Körpersprache, grünes Dirndl – die Österreicherin Rosa liebt „ihren Führer“ mit aller Leidenschaft, zu der sie fähig ist und das nicht nur platonisch. Horvath gelingt es, die Realitätsflucht und Ambivalenz im Leben einer „asozialen“ Frau überzeugend darzustellen, die verarmt, hungrig und völlig vereinsamt in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung ihre Tage verbringt und doch über ein enormes, widerständiges Potential verfügt, das leider in eine falsche Richtung verschwendet wird. Den Anstoß zu „Liebe Macht Blind“ im dietheater Konzerthaus gab ein Buch mit dem Titel „Liebesbriefe an Adolf Hitler – Briefe in den Tod“ (Hg. Helmut Ulshöfer, VAS-Verlag 1994). 1946 entdeckte W. C. Emker, ein US-amerikanischer Soldat, in der Berliner Reichskanzlei Hunderte Liebesbriefe an Adolf Hitler, die er seltsamerweise erst 1994 (!) dem Deutschen Helmut Ulshöfer zur Veröffentlichung übergab. In dieser Briefsammlung finden sich neben der Fanpost auch erschütternde Dokumente aus der Reichskanzlei, die den perfiden Umgang der Nationalsozialisten mit den Verfasserinnen der Liebesbriefe wirderspiegeln. Einige der Frauen landeten aufgrund ihrer Briefe in „Euthanasieprogrammen“ des Dritten Reiches. Sie galten als auffällig und dem „Größenwahn“ nahe.

 

„Wenn frau fort ist von sich selber“

Die „gute Hausfrau“ Rosa Watzberger läßt sich z. B. trotz polizeilicher Warnung in ihrem Liebeswahn nicht stoppen. Sie versteht den Plakattitel „Jede Frau muss ihrem geliebten Führer ein Kind schenken“ als direkte und persönliche Aufforderung. Alleine bzw. ohne Mann zu leben gilt auf jeden Fall für eine Frau als nicht „normal“. Sogenannte „asoziale Frauen“ wurden in der NS-Zeit aufgrund von „unweiblichen“ Auffälligkeiten in Arbeitslager eingeliefert, in Wien in einen Pavillon auf der Baumgartner Höhe. Schon Kleinigkeiten genügten, um denunziert zu werden. „Läßt die Hausarbeit liegen und kümmert sich nicht um ihre Kinder“, war eine beliebte Begründung, oder – besonders, wenn der „deutsche Held“ für das Vaterland starb – wurde die Ehefrau gerne unter der Kategorie „häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“ denunziert. Zwangsverschleppt und mit Spritzen ruhiggestellt wurden auch Mädchen, die sich „herumtreiben und vor Hausaufgaben drücken“ oder Lesben, die von irgendjemandem beim Austausch von Zärtlichkeiten erwischt worden waren.

Die in „Liebe Macht Blind“ verwendeten Briefe sind großteils authentisch. Rosa erklärt in dem Stück den Zustand „wenn frau fort ist von sich selber“, zur „schönsten Liebe“. Ein gefährlicher Zustand, der weibliche Selbstvernichtung zur Liebe verklärt, eine sich schon im Vorhinein an scheinbar männliche Ansprüche anpassende Unterdrückung bis Auflösung des eigenen Charakters. (Rosa: „Es gibt nichts, was mir wirklich lieb ist.“) Nicht nur der doofe Blick, der sich beim Betrachten der selbstgenähten Hitlerpuppe bei Rosa W. einstellt, stellt die Machtfantasie, die Frauen in ihren Liebesluftschlössern überfällt, deutlich in Frage. Ist es doch eine große Lüge, das Frauen über Männer durch Liebe oder Sexualität Macht besäßen. Rosa W. gefällt niemandem, keiner vermißt sie, und doch hält sie stur an ihrer „Besonderheit“ fest. Der Führer liebt sie. Die Figur, mit der sie in ihren Tagträumen schläft, hat aber außer der nachgeahmten Sprache nichts mit Adolf Hitler gemein: Sie ist liebevoll, treuherzig, Rosa ergeben, kindisch, süß. Und wirkt eher wie Charlie Chaplin im „Großen Diktator“.

„Führe mich an mein Ende“

Regisseurin Margit Mezgolich benutzt – um die Absurdität der Erotik der Dominanz aufzuzeigen – als wichtigstes Stilmittel drei Schauspielerinnen, die jodelnd und hüftenschwingend den strammen Sexappeal des „deutschen/ostmärkischen Mädls“ persiflieren. Die Textlieder, vor allem „Rühren Sie, spüren Sie“ über die Erotik des Kochens für einen Mann, sind schwer auszuhalten und doch bezeichnend. Bei „So nimm doch meine Hände und FÜHRE mich an mein seliges Ende“ läuft sogar der abgebrühtesten Zuschauerin eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Die drei wilden Weiber Katharina Hohenberger, Bettina Reifschneider und Petra Strasser erleichtern dagegen enorm den Zugang zu diesem gefühlsduseligen Stück, dessen gewalttätiger Ausgang klar ist.

 

Ersterscheinung in der Volksstimme vom 3. Dezember 1998

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