postheadericon Bosnien-Flüchtlinge 1997: Nirgendwohin und zurück

Foto: Michaela Bruckmüller

Foto: Michaela Bruckmüller

Ein alter Artikel – weil der Umgang mit den Bosnien-Flüchtlinge derzeit so romantisiert wird:

Offizielles Visumsende ist der 31. August. Doch hinter den Kulissen laufen schon die Vorbereitungen der österreichischen Regierung für die „Rückführung“ der bosnischen Flüchtlinge. In Traiskirchen sitzen circa 320 Menschen ohne Informationen über die Rückkehrgebiete, betreuende Organisationen durfen auch in andere Lager nicht hinein. Sogenannte kriegstraumatisierte Frauen, davon viele mit muslimischer Herkunft, können nicht zurückkehren. Was wird mit ihnen geschehen?

 

Ein Dorf in den Bergen, umrundet von schneebedeckten Wäldern mitten im April. Hier gibt es weder Einkaufs- noch Arbeitsmöglichkeiten; um den Hauptplatz stehen hohe alte Häuser, ehemals teure Kurhotels. Nun herrscht die Tristesse; zwei der Gebäude stehen leer, die Fensterscheiben sind kaputt, eine Tür schlägt im Wind auf und zu. Doch zwei andere Gebäude sind voller Menschen: „Wir sind das bosnische Flüchtlingslager“, erklärt ein junger Mann. Wien ist eine halbe Autostunde entfernt. Noch letzte Woche waren in dem Dorf 200 Flüchtlinge, die in den letzten Monaten aus aufgelassenen kleinen Lagern in Niederösterreich gekommen sind, einquartiert. Sie gehören zu den 10.700 bosnischen Flüchtlingen, die noch in Bundesbetreuung stehen und keinen Status Quo besitzen. Sie gelten als „nicht integriert“ und als „bevorzugte“ Gruppe für die sogenannte Rückführung, die seit 15. März durch österreichische RegierungsvertreterInnen vorbereitet wird. Eine bosnische Organisation, die den Menschen Informationen über die Lage in den Gebieten in Ex-Jugoslawien zukommen lassen wollte, bekam sofort und sehr konkret Schwierigkeiten mit den Behörden.

 

Von Lager zu Lager

Inzwischen sind circa achtzig Flüchtlinge weiter verschoben worden; aufgeteilt nach „ledig“ oder „mit Familie“ warten sie in Wien in zwei verschiedenen Lagern, was mit ihnen geschehen wird. Immerhin geben ihnen die möglicherweise zwei bis drei Monate bis zur endgültigen „Rückführung“ die Chance, in Wien eine Arbeit zu finden oder zumindest Kontakte mit Organisationen oder „integrierten“ Ex-JugoslawInnen zu knüpfen. In dem Dorf in den Bergen sitzen noch diejenigen, die keine Chance erhalten werden. In einem winzigen Zimmer wohnen seit vier Jahren zwei Schwestern, die aus Foce flüchteten. Ihr Häuschen wurde angezündet, sie sind von Chetniks, Angehörigen einer paramilitärischen serbischen Gruppe, deren Name von den Kolloborateuren der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg stammt, gefoltert worden. Nach Dayton ist ihre zerstörte Heimat serbisches Gebiet. Sie können nicht zurück. „Die beiden sind wie eine Blume“, sagt eine ebenfalls bosnische Besucherin, „nur Wasser und Essen, das ist alles, wovon sie in den letzten vier Jahren gelebt haben.“ „Meine Schwester trinkt drei Liter Kaffee pro Tag“, lacht die eine, die zwischen Stockbett und Kisten in einem goldgelben Polstersessel thront. Das ist auch das einzige, was es in dieser Einöde zu tun gibt, Geld für Zigaretten besitzen sie nicht. Die beiden sind erstaunlich guter Dinge und reißen vertraute Witze, immerhin haben sie ja einander.

In Deutschland häufen sich die Proteste. Nachdem BosnierInnen an ihren Arbeitsstätten, wo sie ja zwangsläufig leicht zu finden sind, aufgegriffen und stante pede ins Flugzeug nach Sarajevo verfrachtet werden, der deutsche Staat auch nicht davor zurückschreckt, schwangere oder kranke Frauen abzuschieben, protestierte sogar der ehemalige Außenminister Friedrich Gentscher gegen die rabiate Art, bosnische Flüchtlinge zu behandeln, als ob sie kriminelle SchwerverbrecherInnen wären. Seinem Nachfolger Klaus Kinkel hingegen werden Verbindungen zu altfaschistischen Ustascha-Kreisen in Kroatien nachgesagt, mit deren Hilfe in seiner Ära als Leiter des deutschen Bundesnachrichtendienstes das kroatische Unabhängigkeitsbestreben gefördert worden wäre. Die deutsche Ärztin Monika Hauser, bekannt durch das Frauenprojekt Medica in Zenica, lehnte mit Verweis auf die Unmenschlichkeit der Abschiebungen die Verleihung des Bundestverdienstkreuzes ab.

 

Zwischen den Stühlen

Die österreichische Regierung geht einen anderen Weg. In der Öffentlichkeit sind die schönsten Versprechungen auf eine „maßgeschneiderte Lösung je nach Einzelschicksal“ zu hören, doch hinter den Kulissen laufen Vorbereitungen in größerem Ausmaß. Bundeskanzler Viktor Klima bot denen, die nicht in die Heimat zurückkehren können oder wollen, die Integration an. Den Rückkehrwilligen sollen mit österreichischer finanzieller Hilfe materielle Voraussetzungen für eine Existenz in ihrer Heimat geboten werden. Am 15. März wurde die Rückkehraktion (Bund-Länder-Aktion) „Freiwilligkeit, Sicherheit und Würde“ der staunenden Bevölkerung vorgestellt. Dabei enden offizielle Unterstützung und Visa eigentlich erst mit 31. August 1997. Warum die Eile?

Hinter der Fassade laufen die Aktionen. Im Auftrag des Innenministeriums werden Flüchtlinge bereits jetzt innerhalb Österreichs auf die „Rückführung“ vorbereitet. In Traiskirchen z. B. sitzen 320 Flüchtlinge ohne Kontakt zur Außenwelt, hier sollen viele Mädchen und alle Flüchtlinge, die in irgendeiner Weise auffällig geworden sind, sein. Selbst betreuende Organisationen dürfen nicht in das Lager hinein. Es ist nicht möglich, ihnen Informationen über ihre Herkunftsgebiete, die sicher abschreckend – zumindest für die „unfreiwillige Freiwilligkeit“ – sind, zukommen zu lassen.

Die Regierung Izetbegovic versucht über Vereinbarungen mit den verschiedenen Innenministern zu erreichen, dass sie in die Rückführungspläne eingebunden wird. Schließlich kann bei geschätzten sieben Millionen Minen in Bosnien-Hercegovina, 60 bis 80prozentiger Arbeitslosigkeit, mangelnder Infrastruktur – existenzielle Grundnahrungsmittel oder Strom, Gas und Wasserversorgung sowie Schulen oder ärztliche Versorgung fehlen – niemand „mit offenen Armen“ empfangen oder versorgt werden. Laut UNHCR sind derzeit eine Million EinwohnerInnen und 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge im Lande zu 80 Prozent von humanitärer Hilfe abhängig, 60 Prozent des Wohnraumes sind zerstört. Natürlich ist die bosnische Regierung interessiert, auch möglichst viel Wirtschaftshilfe zu erhalten. Zwischen den Stühlen sitzen diejenigen, die real aus Österreich verschwinden werden und keine Ahnung haben, wo sie bleiben und sich ein neues Leben aufbauen können.

Das österreichische Innenministerium scheint wild entschlossen, zumindest 4000 der noch verbleibenden 10.700 BosnierInnen in Bundesbetreung zurückzuschicken. Dabei stammen die österreichischen bosnischen Flüchtlinge zu 70 Prozent aus Srebrenica und Zvornik, aus jetzt serbisch regierten Gebieten, in die sie sowieso nicht mehr zurückkehren können. Die Sozialarbeiterin Seherzada* möchte nach Doboj , doch das ist unmöglich, da Doboj als Folge der Verträge von Dayton serbisches Gebiet ist. Sie will auch nicht mit NationalistInnen, egal welcher Nation, leben müssen: „Ich kann nur denen die Hand geben, die wirklich Menschen geblieben sind. Egal welcher Nationalität. Und das meine ich nicht religiös, sondern moralisch.“

 

Recht auf ein menschenwürdiges Leben

Heide-Marie Fenzel, Vertreterin des Innenministeriums und zuständig für die Betreuung der bosnischen Flüchtlinge, beteuert, dass „von gehen müssen keine Rede sein kann“. Bis jetzt wäre nur ein Rundschreiben an alle Flüchtlinge, die „nicht selbstständig“ sind (Integration bedeutet anscheinend hauptsächlich die Fähigkeit, eigenständig Lohnarbeit und Wohnung zu finden) ergangen mit der Aufforderung zu einem Beratungsgespräch, in dem über die Hilfe zur Rückkehr entschieden und „schwerwiegende Gründe“ für den Bleibewunsch angeführt werden sollen. „Die Bosnier müssen jetzt mit ihrer Lebensplanung beginnen“, betont Fenzel. Diese Gespräche sollen von den Ländern durchgeführt werden, für Wien von der MA 12 in Erdberg. „Die, die können, müssen auf jeden Fall mit 31. 8. zurück, nämlich diejenigen, die der Föderation angehören und in deren Gemeinde ihre ethnische Gruppe in der Mehrheit ist. Aber das betrifft nur sehr wenige“, sagt Frau Fenzel.

Das verpflichtende Gespräch zur Angabe „schwerwiegender Gründe“ für den Bleibewunsch könnte auch der Grund sein, warum die Flüchtlinge aus dem kleinen Dorf nach Wien gebracht wurden. Und die mögliche finanzielle Unterstützung: Die durch den Blätterwald geisternde Idee von ÖS 25.000 Rückkehrprämie ist aber gefallen. Die zum Teil seit Jahren Steuern und Versicherung einzahlenden Flüchtlinge werden weder Leistungen erhalten noch ihr Geld zurückbekommen. Hingegen erhielt die österreichische Regierung eine hohe finanzielle Unterstützung durch das UNHCR für die im Land verbleibenden Flüchtlinge.

Diejenigen, die zurückkehren wollen, brauchen eine finanzielle Starthilfe. Denn ohne Dach über dem Kopf, in einer Gegend, in der sie wirklich bleiben können, werden sie bald wieder Flüchtlinge sein. Und es ist verständlich, dass sie nicht noch einmal Flüchtlinge im eigenen Land sein wollen. Elisabeth Hotter, zuständig für die Pressearbeit der Caritas, meint, dass die Leute „positiv motiviert“ werden sollen. „Für uns ist es ganz wichtig, dass die Rückkehr freiwillig erfolgt. Viele können nicht zurückkehren, auch sie haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben in Österreich.“ Christa Kleiner von der Caritas- AusländerInnenberatung sieht die Bund-Länder-Aktion eher positiv, da durch sie verschiedene Gruppen wie Alte oder Kranke von der Rückführung ausgenommen werden sollen.

 

Taten statt Worte

Im Integrationshaus vermutet Andrea Eraslan-Weninger, dass die Rückkehr der Flüchtlinge indirekt erzwungen wird, da sie sich in der angespannten Arbeitsmarktlage den Aufenthalt arbeitsmäßig und finanziell nicht sichern können. Aber erst im September! Von offizieller Seite verlautet, dass „wer zurückkehren kann, nicht mehr unterstützt werden wird“. Womit wir wieder bei den unterschiedlichen Einschätzungen der Situation im ehemaligen Jugoslawien wären.

Im großen Saal des bosnischen Kulturzentrums liegt ein dickes Buch auf dem Tisch – mit dem Titel „Missing persons on the territory of Bosnia Hercegovina“. 18.712 verschwundene Menschen werden von ihren Familien gesucht. Christine von Kohl, Leiterin des Kulturni Centar, des bosnischen Kultruzentrums in Wien, betont, dass Panik und menschliche Tragödien nur dann vermieden werden können, wenn jeder Fall einzeln bearbeitet und je nach Möglichkeiten und Wünschen der Person entschieden wird. Sie möchte die Regierung Klima auf ihre eigenen schönen Worte festnageln. Das Zentrum bietet genaue Informationen über die momentanen Lebensumstände in verschiedenen Gebieten und Städten an.

Seherzada arbeitete erst in Wien, dann in Niederösterreich in der Betreuung von Flüchtlingen. „Am schlimmsten ist die Lage für die 1992 geflüchteten Frauen“, sagt sie. „Im Gegensatz zu den Frauen, die 1993 oder 1994 kamen, die von den Internationalen Organisationen wie dem Roten Kreuz oder dem UNHCR eine Bestätigung ihrer Leiden mitbrachten und als Flüchtlinge anerkannt wurden, konnten die Frauen von 1992 nicht über Folter und Vergewaltigung sprechen. Sie wurden in Lager nach Niederösterreich abgeschoben. Dort sitzen sie seit vier Jahren. Ich befürchte, dass diese Frauen, die keine De-Facto-Flüchtlinge sind, weil sie nicht über ihr Leiden sprechen konnten, die ersten sein werden, die gehen müssen. Schon vor dem 31. August, dem offiziellen Schub.“ Für diese Frauen muss es Unterstützung geben. Seherzada versucht ein Projekt für vergewaltigte, sogenannte kriegstraumatisierte Frauen aufzustellen. „Ob hier in Österreich oder in Bosnien ist mir egal, aber die Frauen brauchen ein Haus oder eine Wohnung als Zufluchtsstätte und jemanden zum Reden. Sonst gibt ihnen niemand eine Chance.“ Terezija Stoisits von den Grünen blieb bei einer Anfrage nach Unterstützung sehr unverbindlich.

 

Vergewaltigungen: Realität und Politik

Im Mai 1992 tauchten mit der ersten Flüchtlingswelle Berichte über Vergewaltigungen auf. In der US-Zeitung Newsday erschien im August der erste Artikel dazu, aber erst im Dezember bestätigte UNHCR die Gerüchte. Während die Medien an der Zahl von 50.000 vergewaltigten Frauen gesthielten und ziemlich schnell und völlig ungenau den Ausdruck „Massenvergewaltigungen“ prägten, hatte Ende 1993 die „Bosnian Fact-Finding Commision on War Crimes“ 25.000 Zeuginnenberichte gesammelt.

Die Journalistin Seada Vranic aus Travnik interviewte großteils in Flüchtlingslagern über 200 vergewaltigte Frauen, zwölf der Gespräche sind in ihrem Buch „Pred zidom sutnje. Breaking the Wall of Silence. The Voices of Raped, Bosnia” (Zagreb 1996) veröffentlicht. Beeindruckend sind die verschiedenen Widerstandsformen der Frauen: Ein Mädchen merkt sich die Namen von zwanzig Tätern über Wochen hinweg auswendig, ein anderes Mädchen schneidet ihrer Mutter, die Soldaten an den Füßen auf einen Baum hängten, die Seile durch. Enisa hört keine Minute zu singen auf, bis sie von den Chetniks als geistig verwirrt irgendwo in der Landschaft ausgesetzt wird. Lustig erscheint der Widerstand der interviewten Frauen gegen die Journalistin Vranic, deren Motive und Interesse, von der „Schande“ der Frauen zu erfahren, gründlichst hinterfragt wird. Viele Bäuerinnen umschreiben eine Vergewaltigung mit dem Begriff „das Gesicht verlieren“. Auf die Frage nach Abtreibung erhält sie nie eine Antwort. Seada Vranic beendete ihre Interviews mit Frühjahr 1993, und so fehlt der zehnmonatige Krieg der Kroaten gegen die Muslime 1994, und die Vergewaltigungen, die in diesem bzw. bis zum Ende des Krieges verübt wurden, scheinen gar nicht auf.

Vranic betont ihren antifeministischen Ansatz (sie scheint eher US-Varianten des Feminismus zu meinen) und interviewt Psychiater und Sozialpsychologen aus Zagreb – einer nutzt die Publizität auch gleich, um gegen „die Serben“ ausfällig zu werden, um Erklärungsmodelle für Vergewaltigungen zu erhalten. Betonen will sie aber eigentlich die Einzigartigkeit der Verletzungen der bosnisch/muslimischen Frauen, die ihnen von Feministinnen aus anderen Ländern durch Verweise auf Vergewaltigungen in allen Kriegen – vom Zweiten Weltkrieg über Vietnam bis Ruanda – genommen würde. Sie tritt gegen die Nivellierung der Unterschiede von Frauen auf, gegen Frauenbewegungen, die ihren eigenen Rassismus jahrzehntelang nicht reflektierten, vermeidet es aber völlig, patriarchale Gewalt als solche zu benennen. Sie bleibt im Erklärungsmuster von Vergewaltigung als „ethnische Säuberung“ und Teil der „serbischen Kriegsstrategie“.

Die Debatte Antirassismus versus Antisexismus zeigt sich ebenfalls in der Ablehnung z. B. der Zagreber Journalistin Vesna Kesic (Mitbegründerin des Zentrums für weibliche Kriegsflüchtlinge) der Artikel der US-Wissenschaftlerin Catherine A. MacKinnon, die die Vergewaltigungen und Filme von realen Vergewaltigungen mit Pornografie verglich und in ihren Erklärungsansätzen Nationalismus oder Rassismus oder auch nur Unterschiede von Frauen verschiedener Herkunft nicht berücksichtigte. Gleichzeitig sprach MacKinnon von „der Serben“ als „den Vergewaltigern“ und ignorierte so die Bemühungen verschiedener Frauengruppen wie dem Autonomen Frauenhaus in Zagreb, vergewaltigte Frauen, egal welcher „Nationalität“, zu unterstützen.

 

Widerstand von Frauen

1995 setzten sich allein Frauengruppen mit dem Thema Vergewaltigung und den betroffenen Frauen auseinander. Die Regierungen Kroatiens und Bosnien-Hercegovinas wollten davon bald nichts mehr hören, da ihr politisches Kalkül, sich angesichts von „Massenvergewaltigungen“ militärische Unterstützung zu holen, nicht aufgegangen war. Während es in Österreich keine spezielle Organisation oder Gruppe von und für bosnische Flüchtlingsfrauen gibt, agieren im Gebiet des ehemaligen verschiedene feministische Gruppen in sehr unterschiedlicher Art und Weise gegen den (vergangenen) Krieg und seine Folgen. Als vor ein paar Monaten in Belgrad allabendlich Tausende Menschen unterschiedlicher Oppositionsgruppen auf die Straße gingen, um gegen die Regierung Milosevic zu protestieren, beobachtete Tatjana* in Banja Luka in der Republika Srbska eine Kundgebung der „Frauen in schwarz“ gegen den Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic: „Drei Tage lang standen die Frauen an einer Straßenecke, und niemand durfte mit ihnen reden. Tapfer waren die.“

Frauen wollen Einfluß auf den Aufbau ziviler Gesellschaftsstrukturen nach dem Krieg nehmen. Das Frauenprojekt „Ziva Voda“ (Lebendiges Wasser) vereinigt Frauen aus allen Republiken zu diesem Zweck. In der Frauengruppe „Zena 21“ aus Sarajevo arbeiten Frauen der drei Mehrheitsnationalitäten Muslima, Kroatinnen und Serbinnen mit. Sie alle verstehen sich als Saraika, als Frauen aus Sarajevo, als bosnische Frauen. Seit Juni 1994 geben sie eine Zeitung heraus, und 1995 eröffneten sie ein Frauenzentrum. Ein Tabuthema ist die rasch ansteigende Prostitution junger Mädchen. Sabiha H. vom Frauenprojekt Medica Zenica arbeitet mit einer Gruppe jnger Mädchen, die sich mit Prostitution bei IFOR-Soldaten oder Mitarbeitern humanitärer Organisationen Geld verdienen.

 

Bleiberecht

In der Nähe des Südbahnhofes in Wien lag vor einigen Monaten eine ex-jugoslawische Frau stundenlang ohnmächtig auf dem Boden, bevor sich jemand um sie kümmerte. Sie hatte ihren Peiniger, den sie weit weg vermutete, am Bahnhof wiedererkannt. Wie wird es gefolterten und vergewaltigten Frauen gehen, die in ihre Herkunftsgebiete zurück müssen, wo die Täter ungestraft leben? Sogar für einen Staat wie Österreich, dessen Rechtssprechung sich auch nicht gerade durch oftmalige Verurteilung von Vergewaltigern auszeichnet, sollte das Bleiberecht zumindest (!) für diese Frauen klar sein. Unterstützung für sie ist wirklich nötig.

 

 

Ersterscheinung in der feministischen Zeitschrift an.schläge, Mai 1997

Anmerkung: Kurz nach dem Erscheinen des Artikels wollte die Autorin wieder die beiden Frauen besuchen, doch das gesamte Flüchtlingsheim in den Bergen war leer, die beiden Frauen verschwunden. Es gelang auch durch Nachforschen u. a. im Frauenministerium nicht, herauszufinden, wohin die beiden Schwestern gebracht worden waren.

* Name von der Redaktion geändert

 

 

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