postheadericon Marika Schmiedts Filme zum Thema Roma-Verfolgung: Mutterseelenalleine

Als Filmemacherin will Marika Schmiedt Geschichte mitschreiben, einen Funken entzünden, zur Reflexion von eigener Geschichte anregen. Sie schafft es, dass die Mutter, die ein Pflegekind war, und ihrer Großmutter, die als Romni im KZ Ravensbrück ermordet wurde, weiter leben.

„So ein liebes Kind, die möchte ich haben“, sagte die neue Pflegemutter, als sie die Kleine sah. „Die holten mich. Ich bin dann auf einem Schamerl mitten in der Küche gesessen den ganzen Tag und habe kein Wort gesprochen. Am Abend sagte jemand, muss das Kind nicht einmal aufs Klo? Das Schamerl war ganz nass. Da haben sie mich geschimpft.“In Marika Schmiedts neustem Film „Roma Memento. Zukunft ungewiss?“ erzählt Marikas  Mutter Margit Schmiedt, die erst als junge Erwachsene von ihrer Roma-Herkunft erfuhr, von ihrer Kindheit. Die Cousine ihrer Mutter sah Margit zufällig auf dem Uhrfahraner Markt in Linz und sprach sie an: „Weißt du, wer du bist? Deine Mutter und ich waren zusammen im KZ  Ravensbrück.“ „Da haben mich die Füße verlassen“, sagt die Mutter im Film.

„Nach dem Krieg hab’ ich müssen schauen, ob Russen kommen, und dann haben die Pflegemutter und ihre Tochter sich versteckt. Die hatten Angst vor Vergewaltigung. Einmal auf  d’ Nacht haben sie mich alleine im Gitterbett zurückgelassen, kommt so ein Russe ins Haus, reißt mir die Bettdecke weg und sagt ‚Ach, so klein!’. Dann weiß ich nicht mehr, was passierte. Aber später nahm der Russe mich einmal auf den Schoß. Getan haben sie mir nichts!“ Lakonisch zieht die schöne Frau an ihrer Zigarette. Marika hinter der Kamera unterbricht aufgeregt: „Da ist doch vorher noch ein Deutscher gekommen?! Mit Lederstiefel und Totenkopf-Mütze!“ „Ja“, sagt die Mutter. „Was wird mit den Katzen, wenn wir weg müssen?, fragte die Pflegemutter. Die Katzen sollen verrecken, sagte der Deutsche und schaute mich dabei an – ich war ja ganz dunkel.“

Herzzerreißend auch die Geschichte, wie das Kind weg läuft, nach einer halben Nacht gefunden und kurze Zeit später mit „Binkerl und Schachtel“ von der Fürsorge abgeholt wird. „Ich habe mir den Weg so eingeprägt. In der Nacht bin ich dann über die Felder weg durch den tiefsten Wald gerannt und habe gesungen, weil ich glaubte, mir kann keiner etwas tun, wenn ich singe. Um ein Uhr in der Nacht war ich wieder vor dem Haus. Die Pflegemutter war ganz weg. Die Neue hat mich geschlagen, habe ich gesagt, weil ich mich nicht traute zu sagen, dass ich Heimweh hatte.“

Nicht in meinem Herzen

Marika Schmiedt selbst wuchs bei der Cousine ihrer Oma auf, die sechseinhalb Jahre im Konzentrationslager verbringen musste. „Die filmte ich nicht, da war ich noch klein“, sagt Marika heute in ihrer Wohnung voller Bilder an den Wänden – Selbstporträts, Sonnenblumen von Ceija Stojka und einem Foto ihrer Großmutter, das sie sich im Bundesarchiv in Berlin organisierte. „Die Cousine war volle Länge im Konzentrationslager. Einmal kriegten sie eine Frage und wer die Frage richtig beantwortet, durfte gehen. Wo wohnt Hitler?, war die Frage. Sie sagte:‚In Berlin’. Das war falsch. Sie hätte sagen müssen: ‚In meinem Herzen!’“ Marika ist es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, unter welchen Bedingungen Roma heutzutage leben müssen und dass Roma wieder getötet werden – in den sehr fragmentarischen und künstlerischen Film sind Zeitungsartikel über Roma-Verfolgung in Süd Ost Europa eingeblendet.

„Das sitzt mir heute noch in den Knochen, bis ich sterbe, sagte die Mutter über die ganzen Diskriminierungen, die sie sich nicht erklären konnte. Sie ist es nie los geworden. Das ist in ihr gesessen. Ihre Identifikation mit den Roma ging bis zu einem gewissen Grad, für mich war das ja das Oberthema. Ständig brachte ich ihr Horror Geschichten nach Hause. Sie hat mir ja auch das Verdrängen eingebracht (Anm. sic!), aber ich habe mich nicht daran gehalten! Sie hat eine Angst gehabt um mich. Die Geschichte wiederholt sich, sagte sie. Sie fragte mich oft, hast du keine Angst? Jetzt in Budapest, als ich vor dem Haus auf eine Freundin wartete und ein Polizeiauto wegen mir umkehrte, verspürte ich das erste Mal Furcht!“ In Marikas berühmten Film „Eine lästige Gesellschaft“ erzählt sie von der Suche nach den Spuren ihrer Oma. Nur in Ravensbrück sind die Angestellten nett zu ihr, ansonsten werden Marika und die Person hinter der Kamera, auf die sie meist eindringlich einredet, überall aus den Archiven hinaus geschmissen, die das Materials aus der Zeit des Nationalsozialismus bereits vernichtet haben und keine Worte des Mitgefühls oder einer Entschuldigung, einer irgendwie gearteten Verantwortung finden.

Leere Schnee-Wiese mit Hund

Ähnlich wie von einer bildenden Künstlerin und Malerin, die sie eigentlich auch ist, besteht  Marikas Filmsprache in „Roma Memento. Zukunft ungewiss?“ aus Bildern und kurzen Szenen, deren symbolhafte Bedeutung oft erst später klar werden, z.B. als die Mutter mit ihrer Pudel-Hündin an der Leine in einer Landschaft, einer Gegend zu sehen ist – die gleiche Stelle, an der Marika später im Film die Asche aus der Urne verstreut. „Das haben wir uns mit der Mutter ausgemacht!“, freut sich Marika heute, „Und es ist mir gelungen!“

Im Film redet Ceija Stoika in ihrer Küche freundlich mit dem toten Karpfen in ihrer Bratpfanne: „Für uns bist du geschwommen…“ Dann wendet sie sich zur Kamera hin und hält fest: „Die Asylanten wissen nicht wohin. Wenn ich heute höre ‚das Lager’, dann wird mir ganz schlecht. Denn ich war im Lager von Auschwitz.“ Es gibt auch noch andere Verbindungen zur Gegenwart: „Auf dem Bauernhof habe ich geschuftet wie ein Knecht“, erzählt Marikas Mutter. „Mutter, wie siehst du das mit den Entschädigungszahlungen?“, ruft Marika hinter der Kamera hervor. „Viel zu spät, viel zu wenig, jetzt kurz vor dem Sterben, früher hätte man es brauchen können“, ist die Antwort.

In den 60er Jahren wurde ihr Antrag einmal abgelehnt, in den 80er Jahren erhielt sie 12.000 Schilling und musste unterschreiben, dass sie in Zukunft vom österreichischen Staat nichts mehr fordern wird. Ein rotes Ölbild an der Wand, rote Kissen, dunkelrote Samtvorhänge in der Wohnung, Hibiskusblüten. „Die Zigeuner, das war ein Schreckgespenst“, sagt die Mutter, „unvorstellbar, diese Konzentrationslager, unvorstellbar. Wenn der Krieg noch länger gedauert hätte, wäre ich auch hinein gekommen, hätten die mich gefunden.“ Im Film ist es ein Schock für die ZuseherInnen, als die schöne Mutter mit der Muschel an einer Kordel um den Hals plötzlich mit friedlichem Gesichtsausdruck auf dem Totenbett liegt. Kurz darauf sieht man den Hund allein auf der gleichen Wiese wie zu Beginn des Filmes auf einem Feld im Schnee herum laufen.

„Meine erste Kamera kaufte mir die Mutter“, erzählt Marika, während sie in der Wohnung auf und ab läuft und besagter Pudel vom Sofa her zuschaut. „Weil sie gewusst hat, wie wichtig mir das Filmen ist und dass ich das einfach brauche. Es war ein Liebesdienst an mir, dass sie mir das Interview gab, sie wollte lange nicht, es war ihr unangenehm.“

 

http://www.callthewitness.net/Testimonies/VermachtnisLegacy

http://www.romamediaarchive.net/artbrut/

 

Ersterscheinung im Augustin Nr. 311, vom 14.12. 2011 bis 10.1. 2012

 

 

 

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