postheadericon Habitus ohne Mitleid

Cartoon by TIBOR BOLHARechtsextreme bauen sich gefährliche Gedankengebäude auf. Hauptmordopfer rechter Gewalt sind in Österreich nicht ominöse „Andere“ oder „Fremde“, sondern Obdachlose, weil Neonazi  deren körperliche und „soziale Schwäche“ verachten und sie vernichten wollen. Ein Interview mit Andreas Peham, dem Rechtsextremismus-Forscher vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.

 

Wie hast du dir die Obsession der Aktivisten von der weit rechten „Identitären Bewegung“ erklärt, dass sie wirklich zu den Flüchtlingen in die Votivkirche hinein gegangen sind?

Mir kommt es so vor, als ob die Identitären solche Risikos ganz bewusst eingehen, um dann danach, wenn die Gegenseite falsch oder überreagiert, also vor allem mit körperlicher Gewalt, sich als die Opfer darstellen zu können. Es hat schon etwas von einer bewussten Provokation, einem Kalkulieren, und zum Glück ist dieser Plan der Identitären nicht aufgegangen bis jetzt. Dieses Handeln entspricht ihrem  Hintergrund, den Burschenschaften. Zur Charakterbildung in diesen Verbindungen gehört genau diese Haltung, sich alleine einer Übermacht zu stellen –  sie sprechen vom tragischen Heroismus. Das entspricht der Tradition der Spartaner, auf die sie sich beziehen und entspricht einem Habitus, den Norbert Elias in seinen „Studien über die Deutschen“ als „Habitus ohne Mitleid“ bezeichnet hat. Die Burschenschaften lernen vor allem mit dem Mittel der Mensur ihre Angst vor körperlicher Unversehrtheit zu überwinden – in aussichtsloser Lage stehen zu bleiben, ist Teil einer ganz bestimmten Männlichkeit, die vor allem dort sozialisiert wird. Burschenschafter vertreten einen Habitus ohne Mitleid, die Regung der Mitmenschlichkeit wird abgetötet. Du musst ein Jahr durch diese Probezeit als Fuchs und das wissen wir von Aussteigern, du bist der Gewalt der Burschen ausgesetzt. Das Harmloseste ist noch der Trinkzwang: coram publico zu trinken, nicht aufstehen zu dürfen, mit den zu erwartenden Ergebnissen, dass sie sich irgendwann einmal in die Hose machen zum allgemeinen Gaudium. Heinz Christian Strache in einem Interview: „Wer führen will, muss zuvor gehorchen“. Du fängst als kleiner Fuchs an, dann wirst du „geburscht“, bist vollständiges Mitglied und kriegst einen Fuchs zugewiesen, an dem rächst du dich dann, für all das, was du erleiden mußtest. Das heißt offiziell „Burschung“. Die Wehrfähigkeit wird getestet. Sehr männerbündisch. Soldaten, Seeleute, Korps, überall dort, wo fünf, sechs Männer zusammen kommen, besteht für den Neuen Gefahr. Der Männerbund scheint diese Gewaltneigung auch nach innen zu haben.

Mich erinnerten die Identitären an die Obsession der FPÖ, die überall Plakate hatte gegen 45 Flüchtlinge und ständig von Asylmissbrauch oder Asylbetrug redet. Woher kommt diese starke Besessenheit?

Wir haben es hier mit einem Fanatismus zu tun, positiv könnte man es ja als Leidenschaft bezeichnen, bloß geht der überbordende Fanatismus zu Lasten der Realitätsprüfung. Man verliert in dieser Fanatismus-Spirale alle Relationen. An der Stelle der Wirklichkeit baut man einen Popanz auf. Österreich würde systematisch überschwemmt von AsylwerberInnen. Auch  die Bezeichnung „Asylindustrie“ ist ein Popanz, den es in der Realität nicht gibt, sondern es gibt Anwälte und Organisationen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Und das bläst man dann auf zu einer Verschwörung. Das Problem bei den Rechtsextremen ist, im Unterschied zu vielen Politikern: die glauben das tatsächlich! Die Identitären glauben wirklich das Europa untergeht! Dass sie islamisiert werden, dass ihre Frauen und Töchter bald ein Kopftuch tragen müssen. Das ist nicht gespielt, das ist wirklich die subjektive Aufrichtigkeit des Paranoikers und ich verwende hier bewußt nur die männliche Form.

Die Flüchtlinge sagen zu denen „Paranoia people“…

Das ist die beste Bezeichnung, die für diese Menschen jemals gefunden worden ist, das bringt es wirklich auf den Punkt.

Bei der Ausstellung im DÖW steht, dass viele Jugendliche rechtsextrem werden, die von zu Hause aus Gewalterfahrung hatten. Gibt es dazu  Untersuchungen?

Wir beziehen uns auf deutsche Studien. Am Anfang einer Karriere im Neonazismus steht vor allem Gewaltfaszination. Ein bestimmter Kreis von männlichen  Jugendlichen, die Gewalt erfahren, neigt in der Adoleszenz dazu, den Spieß umzudrehen, vom Opfer zum Täter zu werden. Sie kommen mit dieser Gewaltaffinität ins Neonazi-Milieu und dort wird diese Gewalt verherrlicht. Aber dann ganz zielgerichtet auf bestimmte Gruppen gelenkt, die es „verdienen“. Du sollst töten, du darfst töten! Es gibt diese Liedzeile „Mit der Lizenz zu töten, ziehen wir durchs Land. Dann wird alles Kranke erschlagen und niedergebrannt.“ Das ist eine Hymne. Sie fühlen sich subjektiv als Exekutoren von rassistischen Stimmungen. Am Land ist das viel weiter verbreitet als in Großstädten. Dort, wo der Rassimus fast schon bedrohlich hegemonial ist, braucht man sich nicht wundern, dass Jugendliche das als Tatauforderung verstehen. Die glauben dann wirklich die Volksmeinung zu exekutieren.

Wurden die Kinder in Nazi Familien nicht praktisch alleine gelassen mit den Nazi Tätern und Mördern? Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass ein Kind keine „angeborene Identität“ hat. Glaubst du, dass es in den Kinderheimen mehr Rebellion gegen Nazi-Erzieher gab als in den Familien selber?

Wo mehrere Gleichaltrige sind, kann man sich immer auch zusammen schließen und wehren. Doch der Nationalsozialismus als Ganzes zeigt und drückt, jenseits vom Sadismus, Hass auf Kindheit an und für sich aus. Für was steht Kindheit? Für Schwäche. Die Hauptopfer rechter Gewalt sind in Österreich übrigens nicht Flüchtlinge, sondern Obdachlose, also sozial Schwache. Auch das letzte Mordopfer in Wien war ein Obdachloser in der Rotenturmstraße, der wurde von Jürgen K. zu Tode geprügelt. Einem amtsbekannten Neonazi, der nun für zwanzig Jahre in der Anstalt für abnorme Straftäter sitzt. Die These ist, dass es genau diese Schwäche der Opfer ist, die den Blutrausch, in den die Täter geraten, auslöst. Es ist also die körperliche Schwäche, die die Opfer repräsentieren, aber auch und vor allem deren soziale Schwäche, die die Angreifer so wild und aggressiv macht. Weil es sie an die eigene Schwäche erinnert und das ist das Fatale.

Es ist also gar nicht so das ominöse „Andere“, sondern das Schwache. Frauen dürften sie nicht so sehr als schwach ansehen…

Es gibt schon auch sexualisierte Gewalt. In Vorarlberg z.B. die Gruppenvergewaltigung einer 14 Jährigen, die noch dazu in die Neonazi-Gruppe eigentlich rein wollte.

Woher kommen all die Todesmetaphern, die ständig vorkommen? Wie „Es lebe der Tod“ als Parole der rumänischen Neonazis, die für die Liquidierung der Roma und Sinti eintreten? Wieso kippt es dann in reale Tote, wie jetzt in Deutschland, oder bei den russischen Neonazis, die einen Film ins Netz stellen, wie sie einen afrikanischen Flüchtling töten! 

Ich glaube, da muss man zwei Sachen auseinander halten, die Gewalt nach innen und die nach außen. Bei den Morden geht es weniger um den Tod als Metapher, sondern mehr um die Auslöschung, die Vernichtung des Schwachen, die autoritäre Gewalt, die immer nach unten zielt. Diese Gewalt hat jedoch noch eine weitere Bedeutung: Am Beispiel der Nazis spricht Saul Friedländer vom „Erlösungsantisemitismus“. Und andere von „Erlösung durch Vernichtung“. Der Glaube, der sich im Nationalsozialismus manifestiert hat und auch in seinen quasi religiösen Zügen deutlich wird, hat die Vorstellung zum Inhalt über die Vernichtung der Juden und Jüdinnen selbst erlöst zu werden.

Was für ein Glaube soll das sein?!

Das ist das apokalyptische Schema, ein über die christliche Kultur eingeübtes Schema. Dahinter liegt ein sehr katastrophisches Innenleben, das nach Außen projeziert wird. Es gibt diese wunderbare Formulierung von Mortimer Ostow, einem US-amerikanischen Psychoanalytiker: „One’s apocalypse, is the other’s Holocaust“. Was dem einen die Apokalypse ist, wird dem anderen der Holocaust. Es sind immer die Apokalyptiker, die die Welt untergehen sehen und der Nationalsozialismus hat offen apokalyptische Dimensionen.  Auch heute ist bei Neonazis das affektiv am meisten aufgeladene Symbol die schwarze Sonne! Und die schwarze Sonne in deren Fantasie ist die, die in diesem großen Blutbad aufsteigt. Die richtige Sonne fällt hinein in dieses Blutbad und dann steigt die schwarze Sonne auf und kündigt das neue 1000jährige Reich an. Das sind Endzeitfantasien. Man darf das nicht unterschätzen. Gerade Adoleszente, die immer wieder Identitäts-Diffusion und zentrifugalen Kräften im Inneren ausgesetzt sind, Widersprüchen, die sie fast zerreissen, sind oft anfällig für derartige Symbolik. Und was man auch nicht vergessen darf, ist diese extreme Todesfaszination in der Adoleszenz, die Gewalt nach innen, von der oben die Rede war. Es gibt Lieder, die die Todessehnsucht ausschlachten und weiter führen, da heißt es z.B. „Ins Reich der Helden will ich gehen“, diese Gesänge, in denen man die Bereitschaft ausdrückt,  für Deutschland in den Tod zu gehen. Oft ist es aber auch verbunden mit dem Gedanken, wenn ich endlich tot bin, lacht mich keiner mehr aus… Unter den Gegenstrategien ist die Beziehungsarbeit total wichtig, der Aufbau kontinuierlicher realer Beziehungen, aber auch die Beziehung zu einem Selbst, damit sich ein innerer Raum öffnet, denn sonst schrumpft der innere Raum auf einen Punkt zusammen. Das kann man alles nachholend machen.

Ersterscheinung im AUGUSTIN 343, 30. 4. – 14. 5. 2013 

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