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Rummel Hummel in Hernals: „Gehen wir drin“
Zwischennutzung: Die Lusterfabrik wurde zum Jahrmarkt. Repräsentative Beleuchtungskörper, Glasprojekte in allen Stilrichtungen und Kristalluster produzierten „E. Bakalowits und Söhne“ in der Lusterfabrik im Wiener Hernals. Nun bespielten zwei junge, fleißige Jahrmarkt-Macher die Fabrik in einem Zwischennutzungsprojekt. Der „Rummel Hummel“ genannte Komplex zog Tausende an. Augustin-Lokalaugenschein an einem der letzten Tage des Experiments, für dessen Reproduktion an anderen Plätzen die Stadt Wien leider nicht die besten Bedingungen schafft.
„Schlepper-Flüchtlinge“: Kriminelle Armutsvereinigungen
„Triste finanzielle Lage“ als Untersuchungshaftsgrund?
Wer arm ist, muss anscheinend automatisch kriminell werden, zumindest ergibt sich das aus der Begründung für die weitere Untersuchungshaft von zweien der als „Schlepper“ verhafteten Flüchtlinge im Umfeld der Wiener Votivkirche. Es wird sogar eine kriminelle Armutsvereinigung angenommen: „Gerade die gewerbsmäßige Tatbegehung aller Beteiligten, somit auch des Beschwerdeführers, ist aus der, den vorliegenden Ermittlungsergebnissen entnehmbaren durchorganisierten Tatbegehung als Mitglied einer nicht nur in Österreich agierenden kriminellen Vereinigung, im Zusammenhalt mit dem geringfügigen Einkommen des Beschuldigten, nämlich 39 Euro monatlich, die er als Asylwerber seit ca. Februar 2013 erhielt (vgl AS 9 in ON 72), mit der für einen dringenden Tatverdacht erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit abzuleiten.“ Steht so wortwörtlich im Haftbeschluss.
„Nieder mit den nazistischen Blutsäufern!“
„Wiener, erschlagt die braunen Bluthunde“, schrieb ein junger Laborant, den Zettel bewahrte er leider in seiner Brieftasche auf. Das Papier mit den Verfluchungen diente dem „Mischling ersten Grades“ als heimlicher Trost, da er wegen seiner Abstammung verspottet wurde. Sein jüdischer Vater flieht 1938 und lässt seine Kinder zurück (es wird nicht erwähnt warum). Als Wolfgang Pogner seine Brieftasche verliert, führt das Zettelchen zu seinem Untergang. In der Untersuchungshaft besucht ihn seine Schwester Susi. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wird der junge Mann vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und mitleidslos aus seiner „Armesünderzelle“ heraus am 5. Dezember 1944 im Landesgericht Wien hingerichtet.
Maghrebinischer Flüchtling statt Sehnsuchtsreise
Wie eine Privatperson dem Staat die Flüchtlingsunterstützung abnimmt: Die schöne Stadt Villach verfügt über tschetschenische Internetcafes, MigrantInnenberatungsstellen auch für Roma, die als Galerie dienen, und tolle Ausstellungs- und Konzert-Orte wie den „Kulturhofkeller“. Aber ziemlich dringend fehlt es an TherapeutInnen für Trauma-Schäden und – an einer Straßenzeitung.
„Bei mir darf er ja spinnen“, sagt B. im Kulturhofkeller in Villach und deutet mit der Hand auf M., der freundlich lächelt. „Und das nutzt er weidlich aus.“ Die beiden wirken wie ein altes Ehepaar, was sie aber nicht sind, sie leben bloß seit Jahren in einer Art Wohngemeinschaft zusammen und kennen sich genau. „Vor der Saualm war M. in einer noch viel grauslicheren Einrichtung, einer Vorzeigeinstitution für Flüchtlinge im negativen Sinn. Die mittlerweile gesperrt ist.“ B. wirkt ein bißchen müde und ausgebrannt, aber immer noch zäh und entschlossen. „In dem Heim gab es immer Brösel. Und keine Deeskalations-Maßnahmen. Die sitzen da aufeinander, die ganzen Flüchtlinge, mit ihren schlimmen Erfahrungen gemeinsam eingepfercht, ohne Perspektive. Es war urheiß und einige tranken in dieser nervenaufreibenden Situation auch noch Alkohol. Auf jeden Fall kriegte M. einen Schlag ins Gesicht und es kam zu einem Raufhandel. Dann hat man ihn und einen zweiten Araber auf die Saualm in die Sonderanstalt für straffällige Asylwerber hinauf geschossen“, erzählt B. weiter. „Obwohl er angegriffen worden war, ist er letztendlich als Einziger sitzen gegangen. Unter der Devise, er würde ins Krankenhaus kommen, brachte man ihn in einer Nacht-und-Nebel Aktion auf die Saualm hinauf.“
Die Räume zwischen den Wörtern hassen
Venediger Kunstbiennale und „Salon der Angst“ auf der Suche nach dem Zipfel des Universums: Machen Menschen „mit besonderen geistigen Bedürfnissen“ die spannendere Kunst? Von Obsessionen, Systemen und Strukturen: In die venezianische Biennale-Wunderkammer ist sehr viel „Art Brut“ eingeflossen. Im Wiener „Salon der Angst“ dominiert „das Abbild“.
Antiheldenhafte Serien-Kunst, bildhafte Obsessionen, eifrige und fleißige Suche in Systemen und Strukturen: Die Kunst Biennale in Venedig zeigt unter dem Titel „Der Palast der Enzyklopädie“ sehr viele „Art Brut“-Kunstwerke. Was war vorher, die Wissenschaft oder die Kunst? Oder die „Abnomalien“? Oder entstand die Wissenschaft, indem forschende Wächter die „Narren“ und „Närrinnen“ zu beobachten begannen, in den runden „Narrentürmen“, den Vorläufern der Gefängnisse – wie der französische Philosoph Michel Foucault schreibt? Ist Kunst eigentlich sowieso Obsession, oder nur ihre Ausführung und Bearbeitung? Der italienische Kurator Massimiliano Gioni wollte mit seiner Enzyklopädie-Biennale „einen Zipfel des Universums erhaschen“.