postheadericon Der Purpurblaurabe und die „Realität zweiten Grades“

Tatiana Lecomte im Museum am Judenplatz.

 Vogel Lecomte von Tatiana LeconteWie läßt sich eine traumatische Geschichte in Bildern verarbeiten? Wenn jemand etwas sehr Schlimmes erlebt hat, passen für sie oder ihn die Bilder im Kopf nicht immer mit der Realität zusammen. Man kann die Wirklichkeit manchmal nicht einordnen. Standbilder, Flashbacks oder Farbausfälle kennzeichnen ein Trauma – eine Fragmentierung der Wirklichkeit passiert, nur Teile des Geschehens werden noch wahrgenommen. Inkablaurabe oder Rostbauch-Fruchttaube, Bunttukan oder Purpurblaurabe heißen die Vögel, die die Künstlerin Tatiana Lecomte im Wiener Jüdischen Museum am Judenplatz ausstellt. Und damit die erste zeitgenössische Kunst Ausstellung in der kleinen Schwester des großen Jüdischen Museums ausrichtet. Große Schwarzweißfotos von ausgestopften Vögeln aus dem Naturhistorischen Museum stehen auf dem Boden und zeigen einen erstarrten Tod mit einem Rest von Lebendigkeit in den künstlichen Augen.

 

Josef Albers - Interaction of color (1963) In einem kleinen Raum sind Farbtafeln in einem Haufen ausgestellt, deren Abbildungen im Katalog an Josef Albers erinnern, der vor kurzem im Wiener Künstlerhaus leider etwas kurz ausstellte.„Das Lebendige kommt nachher durch die Fotografie zurück“, sagt die Künstlerin. „In jedem Teil meiner Arbeit fehlt etwas. Bei den toten, präparierten Vögeln kriegt man keine Farbe, bei der Farbe keine Figuren und dem Text fehlen die Bilder. Man muss etwas tun, um die Teile zusammen zu bringen.“ Um mit einem Trauma umzugehen, müsse man ebenfalls „Bruchstücke in der Erinnerung zusammensetzen. Es gilt die Teile zusammenzubringen, eine Arbeit zu leisten und eine Vorstellung, Vorstellungskraft zu investieren, um das Bild der Realität anzunähern.“ Ihre Arbeit zeige eine „Realität zweiten Grades“. Sie protestiere so auch indirekt gegen die angebliche „Unvorstellbarkeit“ der Shoah. Bei ihrem Mahnmal in Viehhofen verschickte Leconte 17.500 Postkarten an die EinwohnerInnen von St. Pölten. „So ist das Mahnmal nicht auf einem öffentlichen Platz, draußen vor der Türe, sondern zu Hause“, sagt sie und deutet auf Rachel Whitereads Skulptur für die 65.000 österreichischen JüdInnen, die in der Shoah ermordet wurden, vor der Türe des Museums.

 

http://www.jmw.at/de/museum-judenplatz

http://www.mahnmal-viehofen.at/de/mahnmal.html

Ersterscheinung im Augustin Nummer 346, 12. 6. – 25. 6. 2013

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