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Innere Bilder von Shanghai
Ein Besuch in der Ausstellung „Wiener in China“ mit Herrn K., der in Shanghai geboren wurde und bei seiner Rückkehr nach Wien mit einem Pferdestall vorliebnehmen musste.
In der Eingangshalle des Jüdischen Museums Wien treffen wir auf die Vermittlerin Hannah Landsmann, die gleich durch die Ausstellung „Wiener in China“ führen wird. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht, als sie das Plastiksackerl sieht, in dem Herr K. Briefe aus und nach Shanghai mitgebracht hat – Dokumente seiner Familie. Er selbst ist 1942 in Shanghai geboren und hat allein Kindererinnerungen an diesen Ort. Es hat sich in seinem Leben bisher keine Gelegenheit geboten, Shanghai wieder zu besuchen. Vor dem chinesischen Fahrrad am Eingang der Ausstellung bleibt K. lange stehen: „Es gab Rikschas als Transportmittel für Menschen. Bei Hochwasser in den Straßen, welches öfter vorkam, sind diese Kulis bis zu den Knien im Wasser gestanden, gerade das man nicht im Wasser gesessen hat. Die Fahrräder dienten zum Gütertransport.“ Eigentlich wollte er den Besuch auf coronafreie Zeiten verschieben. Nun ist er doch im Museum. Seine Tante eröffnete in Shanghai eine Konditorei. Die Großeltern Gerstl waren mit vier Kindern vor den Nazis geflüchtet. „Das ist der Bund!“, ruft Herr K. und läuft zu dem langgestreckten Foto, das die Promenade am Ufer des Flusses Huangpu Jiang zeigt. Nach langem stillen Schauen: „Die Japaner planten schon Gaskammern zu bauen. Wenn die japanische Besetzung Shanghais länger gedauert hätte, wären wir dort umgebracht worden.“
Durch Familien-Recherche Hoffnung schöpfen
Niemand sollte anderen Menschen die Hoffnung nehmen, die sie aus der „Vorfahren-Recherche“ erreichen können. Außer man ist ein Täterkind und doppelt ambivalent. Ein Täterkind will schauen und wieder auch nicht.
Warum ist es so wichtig, seine eigenen Vorfahren zu recherchieren? Oft gibt es Familien-Gerüchte, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, aber nie überprüft wurden. Die im Laufe der Jahre abgeschliffen und verändert wurden. Leerstellen. Obsessionen, Besessenheiten, seltsame Eigenheiten – die sich keiner so richtig erklären kann. Starke Gefühle, die bei kleinstem Anlass plötzlich ausbrechen können, die nicht zur Situation passen.
Es ist wichtig zu wissen, ob ein Verwandter wirklich von den Partisanen ermordet wurde, wie vor kurzem jemand schrieb und wieso und warum. Was die Hintergründe dieser Tat waren. Durch gezieltes Nachfragen fand zum Beispiel eine Kärntner Bekannte aus dem Grenzgebiet heraus, dass ihre Tante auf dem Weg zur Polizei war, als sie erschossen wurde. Die slowenische Familie der Frau war eigentlich Pro-Partisanen eingestellt, doch die Tante war mit einem Mann zusammen, der „von den Deutschen gedreht und dann bei der GESTAPO der Größte“ geworden war. Dieser Mann überredete seine Freundin, die Partisanen-Gruppe in ihrem Wald zu verraten. „Sie wollte eigentlich gar nicht“, erfuhr meine Bekannte von ihrer Mutter, „aber der Mann brachte sie dazu.“
Geschichtsbild ohne Partisaninnen
Im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien werden keine Kompromisse möglich sein. Entweder wird ein Uniformen-Weltbild ohne Täter-Benennung fortgeführt, oder es muss neu aufgestellt werden. Auf der Tagung und Ausstellung „HGM neu denken“ gab es Anregungen.
Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien war in letzter Zeit öfters in den Schlagzeilen. Kriegsverherrlichung (etwa rechtsextreme Bücher und Wehrmachtspanzer-Spielzeug), Misswirtschaft – die Vorwürfe haben es in sich. Und wurden so laut, dass das Verteidigungsministerium diese durch Kommissionen prüfen lässt.
Mit „HGM neu denken“, einem eintägigen Tagungs- und Ausstellungsformat, widmeten sich die Autorin und Literaturwissenschafterin Elena Messner und der bildende Künstler und Filmemacher Nils Olger dem Problem. Die beiden beschäftigen sich schon lange mit dem HGM, nun luden sie WissenschaftlerInnen und Kunstschaffende zur ersten breiten Diskussion zur Frage, wie ein zeitgenössisches, kritisches Museum heute aussehen könnte.
Banana Split und keine Angst
Comic Strips mit Superheldinnen, Karikaturen über Künstler oder Zeichnungen aus dem Lager Blechhammer: Das Museum Judenplatz zeigt künstlerische Überlebens-Strategien.
Ein Sigmund Freud mit großer Brille über einem bunten Teil hängend, das einer Blumenschale ähnlich sieht. Titel: „Dr. S. Freud kostet seinen ersten Banana-Split“. In Amerika! Ein Psychoanalytiker, der sagt „It’s perfectly alright to be a swine.“ Auf dem Sofa liegt (erraten): ein Schwein. Der Zeichner Peter Paul Porges aus Wien Fünfhaus (mit zwölf Jahren auf den Kindertransport) dachte, wenn er bei einer New Yorker Zeitung arbeite, dürfe er endlich Zeichnungen erstellen, um „Leute zu erziehen“. Doch er durfte nicht: „Du musst die Leute so dumm wie möglich lassen, um etwas mit ihnen anfangen zu können – sie zu benutzen“, ist sein Fazit im Filminterview. Er amüsierte sich aber trotzdem prächtig. Das Museum am Judenplatz zeigt bis 17. November 2019 drei KünstlerInnen, die, den Nazis entkommen, ihre ganz eigenen Vorstellungen und Interpretationen des amerikanischen Lebensstils vor ihrer Nase abbildeten. Doch „das Deutsche“ bleibt trotz Flucht in den Zeichnungen. „Less Sturm! Less Drang! Less Punk“, kommentiert zum Beispiel eine Mutter zu ihrem übertrieben übenden Kind am Klavier. Oder: „Sie haben eine Lebensmittel-Vergiftung“, sagt ein Arzt zu einem im Bett liegenden Künstler. Über dem Kranken hängen gemalte, überdimensionale Zitronen, Zwiebel, Fische an der Wand…
„In Schönbrunn durfte man nicht hausieren“
Flammender Flaschenbaum, Fischschwanzpalme, Sauersack aus Südmexiko: Anlässlich von „100 Jahre Gärten der Republik“ führte ein Bundesgärtner durch das Palmenhaus in Schönbrunn.
Fotos: Lisbeth Kovacic
„Der Burggarten mit seinem ersten Glashausbau, dem Remyschen Glashaus, war erst nur für die Kaiserfamilie bestimmt und zeigte Pflanzen aus der ganzen Welt, die extra aus anderen Kontinenten importiert wurden und die in Europa erstmals von Menschen gesehen wurden“, erzählt Bundesgärtner Daniel Rohrauer. Auf verwunderte Blicke des Publikums folgt der Nachsatz des Gärtners: „Als Mensch hat damals nur der Europäer gegolten.“
1901/02 wurde das sogenannte Remy’sche Glashaus, benannt nach dem Architekten Ludwig Gabriel von Remy, durch ein neues ersetzt. Die Umbauten im Burggarten in dieser Phase seien durch Otto Wagner inspiriert worden, das hätten neue Archivrecherchen ergeben, so der Gärtner. Fix ist, dass Hofgärtner Vetter 1864 nach Sizilien gefahren ist und von einer Sammelreise mit 223 neuen Zitronenbäumchen zurückgekehrt ist, von denen sind heute noch 46 am Leben. Oder die Azaleen wurden aus dem Züchtungszentrum Sachsen importiert, der saure Torf-Boden dazu aus dem ganzen Kaiserreich.
Eine gute Schnurre gibt es auch zu erzählen: Nach dem Zweiten Weltkrieg sollen die Gärtner_innen nur noch mit Helm ins Palmenhaus im Burggarten gegangen sein – bis zum Einsturz der Reichsbrücke. Der Auslöser dafür, das Palmenhaus wegen Statik-Problemen zuzusperren. Als Ausweichquartier diente das frühere Sonnenuhrhaus (und heutige Wüstenhaus) in Schönbrunn. Das Palmenhaus im Burggarten wurde 1990 wieder eröffnet, somit konnten die Schmetterlinge im freigewordenen Sonnenuhrhaus in Schönbrunn Platz finden. Dort blieben sie acht Jahre, bis das Schmetterlinghaus in den Burggarten übersiedelt wurde, wo es sich nach wie vor befindet.